Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 178 |
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01 | § 32. Die Einbildungskraft ist indessen nicht so schöpferisch, als man | [ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 140) ] | |||||
02 | wohl vorgiebt. Wir können uns für ein vernünftiges Wesen keine andere | ||||||
03 | Gestalt als schicklich denken, als die Gestalt eines Menschen. Daher macht | ||||||
04 | der Bildhauer oder Maler, wenn er einen Engel oder einen Gott verfertigt, | ||||||
05 | jederzeit einen Menschen. Jede andere Figur scheint ihm Theile zu enthalten, | ||||||
06 | die sich seiner Idee nach mit dem Bau eines vernünftigen Wesens | ||||||
07 | nicht zusammen vereinigen lassen (als Flügel, Krallen oder Hufe). Die | ||||||
08 | Größe dagegen kann er dichten, wie er will. | ||||||
09 | Die Täuschung durch die Stärke der Einbildungskraft des Menschen | ||||||
10 | geht oft so weit, daß er dasjenige, was er nur im Kopf hat, außer sich zu | ||||||
11 | sehen und zu fühlen glaubt. Daher der Schwindel, der den, welcher in | ||||||
12 | einen Abgrund sieht, befällt, ob er gleich eine genugsam breite Fläche um | ||||||
13 | sich hat, um nicht zu fallen, oder gar an einem festen Geländer steht. | ||||||
14 | Wunderlich ist die Furcht einiger Gemüthskranken vor der Anwandelung | ||||||
15 | eines inneren Antriebes, sich wohl gar freiwillig herunterzustürzen. - Der | ||||||
16 | Anblick des Genusses ekeler Sachen an anderen (z. B. wenn die Tungusen | ||||||
17 | den Rotz aus den Nasen ihrer Kinder mit einem Tempo aussaugen und | ||||||
18 | verschlucken) bewegt den Zuschauer eben so zum Erbrechen, als wenn ihm | ||||||
19 | selbst ein solcher Genuß aufgedrungen würde. | ||||||
20 | Das Heimweh der Schweizer (und wie ich es aus dem Munde eines | ||||||
21 | erfahrnen Generals habe, auch der Westphäler und der Pommern in | ||||||
22 | einigen Gegenden), welches sie befällt, wenn sie in andere Länder versetzt | ||||||
23 | werden, ist die Wirkung einer durch die Zurückrufung der Bilder der Sorgenfreiheit | ||||||
24 | und nachbarlichen Gesellschaft in ihren Jugendjahren erregten | ||||||
25 | Sehnsucht nach den Örtern, wo sie die sehr einfachen Lebensfreuden genossen, | ||||||
26 | da sie dann nach dem spätern Besuche derselben sich in ihrer Erwartung | ||||||
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