Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 177 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Verknüpfungen:
|
|
||||
01 | Unterhaltung ist das Abspringen von einer Materie auf eine | ||||||
02 | ganz ungleichartige, wozu die empirische Association der Vorstellungen, | ||||||
03 | deren Grund blos subjectiv ist (d. i. bei dem Einen sind die Vorstellungen | ||||||
04 | anders associirt, als bei dem Anderen) - wozu, sage ich, diese Association | ||||||
05 | verleitet, eine Art Unsinn der Form nach, welcher alle Unterhaltung unterbricht | ||||||
06 | und zerstört. - Nur wenn eine Materie erschöpft worden, und eine | ||||||
07 | kleine Pause eintritt, kann jemand eine andere, die interessant ist, auf die | ||||||
08 | Bahn bringen. Die regellos herumschweifende Einbildungskraft verwirrt | ||||||
09 | durch den Wechsel der Vorstellungen, die an nichts objectiv angeknüpft | ||||||
10 | sind, den Kopf so, daß dem, der aus einer Gesellschaft dieser Art gekommen | ||||||
11 | ist, zu Muthe wird, als ob er geträumt hätte. - Es muß immer ein Thema | ||||||
12 | sein sowohl beim stillen Denken als in Mittheilung der Gedanken, an | ||||||
13 | welches das Mannigfaltige angereiht wird, mithin auch der Verstand | ||||||
14 | dabei wirksam sein; aber das Spiel der Einbildungskraft folgt hier doch | ||||||
15 | den Gesetzen der Sinnlichkeit, welche den Stoff dazu hergiebt, dessen Association | ||||||
16 | ohne Bewußtsein der Regel doch derselben und hiemit dem Verstande | ||||||
17 | gemäß, obgleich nicht als aus dem Verstande abgeleitet, verrichtet | ||||||
18 | wird. | ||||||
19 | Das Wort Verwandtschaft ( affinitas ) erinnert hier an eine aus | ||||||
20 | der Chemie genommene, jener Verstandesverbindung analogische Wechselwirkung | ||||||
21 | zweier specifisch verschiedenen, körperlichen, innigst auf einander | ||||||
22 | wirkenden und zur Einheit strebenden Stoffe, wo diese Vereinigung | ||||||
23 | etwas drittes bewirkt, was Eigenschaften hat, die nur durch die Vereinigung | ||||||
24 | zweier heterogenen Stoffe erzeugt werden können. Verstand und | ||||||
25 | Sinnlichkeit verschwistern sich bei ihrer Ungleichartigkeit doch so von selbst | ||||||
26 | zu Bewirkung unserer Erkenntniß, als wenn eine von der anderen, oder | ||||||
27 | beide von einem gemeinschaftlichen Stamme ihren Ursprung hätten; welches | ||||||
28 | doch nicht sein kann, wenigstens für uns unbegreiflich ist, wie das Ungleichartige | ||||||
29 | aus einer und derselben Wurzel entsprossen sein könne.*) | ||||||
*) Man könnte die zwei ersten Arten der Zusammensetzung der Vorstellungen die mathematische (der Vergrößerung), die dritte aber die dynamische (der Erzeugung) nennen; wodurch ein ganz neues Ding (wie etwa das Mittelsalz in der Chemie) hervorkommt. Das Spiel der Kräfte in der leblosen Natur sowohl als der lebenden, in der Seele eben sowohl als des Körpers beruht auf Zersetzungen und Vereinigungen [Seitenumbruch] des Ungleichartigen. Wir gelangen zwar zur Erkenntniß derselben durch Erfahrung ihrer Wirkungen; die oberste Ursache aber und die einfachen Bestandtheile, darin ihr Stoff aufgelöst werden kann, sind für uns unerreichbar. - - Was mag wohl die Ursache davon sein, daß alle organische Wesen, die wir kennen, ihre Art nur durch die Vereinigung zweier Geschlechter (die man dann das männliche und weibliche nennt) fortpflanzen? Man kann doch nicht annehmen, daß der Schöpfer blos der Sonderbarkeit halber, und nur um auf unserem Erd=Glob eine Einrichtung, die ihm so gefiele, zu machen, gleichsam nur gespielt habe; sondern es scheint, es müsse unmöglich sein, aus der Materie unseres Erdballs organische Geschöpfe durch Fortpflanzung anders entstehen zu lassen, ohne daß dazu zwei Geschlechter gestiftet wären. - In welchem Dunkel verliert sich die menschliche Vernunft, wenn sie hier den Abstamm zu ergründen, ja auch nur zu errathen es unternehmen will? | |||||||
[ Seite 176 ] [ Seite 178 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |