Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 172

   
         
 

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  01 Es ist ein neues Flüssige seinen in den Adern umlaufenden Säften beigemischt    
  02 und ein anderer Reiz auf die Nerven, der nicht die natürliche    
  03 Temperatur deutlicher entdeckt, sondern eine andere hineinbringt.    
  04 Daher wird der Eine, der sich betrinkt, verliebt, der Andere großsprecherisch,    
  05 der Dritte zänkisch werden, der Vierte (vornehmlich beim Bier) sich    
  06 weichmüthig oder andächtig oder gar stumm zeigen; alle aber werden,    
  07 wenn sie den Rausch ausgeschlafen haben, und man sie an ihre Reden des    
  08 vorigen Abends erinnert, über diese wunderliche Stimmung oder Verstimmung    
  09 ihrer Sinne selber lachen.    
         
  10 § 30. Die Originalität (nicht nachgeahmte Production) der Einbildungskraft, [ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 137) ]    
  11 wenn sie zu Begriffen zusammenstimmt, heißt Genie;    
  12 stimmt sie dazu nicht zusammen, Schwärmerei. - Es ist merkwürdig,    
  13 daß wir uns für ein vernünftiges Wesen keine andere schickliche Gestalt,    
  14 als die eines Menschen denken können. Jede andere würde allenfalls    
  15 wohl ein Symbol von einer gewissen Eigenschaft des Menschen - z. B.    
  16 die Schlange als Bild der boshaften Schlauigkeit -, aber nicht das vernünftige    
  17 Wesen selbst vorstellig machen. So bevölkern wir alle andere    
  18 Weltkörper in unserer Einbildungskraft mit lauter Menschengestalten, obzwar    
  19 es wahrscheinlich ist, daß sie nach Verschiedenheit des Bodens, der sie    
  20 trägt und ernährt, und der Elemente, daraus sie bestehen, sehr verschieden    
  21 gestaltet sein mögen. Alle andere Gestalten, die wir ihnen geben möchten,    
  22 sind Fratzen*).    
         
  23 Wenn der Mangel eines Sinnes (z. B. des Sehens) angeboren ist:    
  24 so cultivirt der Verkrüppelte nach Möglichkeit einen andern Sinn, der    
  25 das Vicariat für jenen führe, und übt die productive Einbildungskraft    
  26 in großer Maße: indem er die Formen äußerer Körper durch Betasten    
  27 und, wo dieses wegen der Größe (z. B. eines Hauses) nicht zureicht, die    
  28 Geräumigkeit noch durch einen andern Sinn, etwa den des Gehörs,    
  29 nämlich durch den Widerhall der Stimme in einem Zimmer, sich faßlich    
  30 zu machen sucht; am Ende aber, wenn eine glückliche Operation das Organ    
         
    *) Daher die heilige Drei, ein alter Mann, ein junger Mann und ein Vogel (die Taube), nicht als wirkliche, ihrem Gegenstande ähnliche Gestalten, sondern nur als Symbole vorgestellt werden müssen. Eben das bedeuten die bildlichen Ausdrücke des Herabkommens vom Himmel und Aufsteigens zu demselben. Wir können, um unseren Begriffen von vernünftigen Wesen Anschauung unterzulegen, nicht anders verfahren als sie zu anthropomorphosiren; unglücklich aber oder kindisch, wenn dabei die symbolische Vorstellung zum Begriffe der Sache an sich selbst erhoben wird.    
         
     

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