Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 143

   
         
 

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  01 sind, gar nicht gefragt; denn diese Untersuchung gehört zur Metaphysik,    
  02 welche es mit der Möglichkeit der Erkenntniß a priori zu thun hat. Aber    
  03 es war doch nöthig so weit zurückzugehen, um auch nur die Verstöße des    
  04 speculativen Kopfs in Ansehung dieser Frage abzuhalten. - Da übrigens    
  05 die Kenntniß des Menschen durch innere Erfahrung, weil er darnach    
  06 großentheils auch Andere beurtheilt, von großer Wichtigkeit, aber doch    
  07 zugleich von vielleicht größerer Schwierigkeit ist, als die richtige Beurtheilung    
  08 Anderer, indem der Forscher seines Inneren leichtlich, statt blos zu    
  09 beobachten, manches in das Selbstbewußtsein hinein trägt, so ist es rathsam    
  10 und sogar nothwendig von beobachteten Erscheinungen in sich selbst    
  11 anzufangen und dann allererst zu Behauptung gewisser Sätze, die die    
  12 Natur des Menschen angehen, d. i. zur inneren Erfahrung, fortzuschreiten.    
         
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Apologie für die Sinnlichkeit.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 091) ]    
         
  15 § 8. Dem Verstande bezeigt jedermann alle Achtung, wie auch die    
  16 Benennung desselben als oberen Erkenntnißvermögens es schon anzeigt;    
  17 wer ihn lobpreisen wollte, würde mit dem Spott jenes das Lob der Tugend    
  18 erhebenden Redners ( stulte! Quis unquam vituperavit ) abgefertigt    
  19 werden. Aber die Sinnlichkeit ist in üblem Ruf. Man sagt ihr viel    
  20 Schlimmes nach: z. B. 1)daß sie die Vorstellungskraft verwirre; 2)daß    
  21 sie das große Wort führe und als Herrscherin, da sie doch nur die    
  22 Dienerin des Verstandes sein sollte, halsstarrig und schwer zu bändigen    
  23 sei; 3)daß sie sogar betrüge und man in Ansehung ihrer nicht genug    
  24 auf seiner Hut sein könne. - Anderseits fehlt es ihr aber auch nicht an    
  25 Lobrednern, vornehmlich unter Dichtern und Leuten von Geschmack, welche    
  26 die Versinnlichung der Verstandesbegriffe nicht allein als Verdienst    
  27 hochpreisen, sondern auch gerade hierin und daß die Begriffe nicht so mit    
  28 peinlicher Sorgfalt in ihre Bestandtheile zerlegt werden müßten, das    
  29 Prägnante (die Gedankenfülle) oder das Emphatische (den Nachdruck)    
  30 der Sprache und das Einleuchtende (die Helligkeit im Bewußtsein) der    
  31 Vorstellungen setzen, die Nacktheit des Verstandes aber geradezu für    
  32 Dürftigkeit erklären*).Wir brauchen hier keinen Panegyristen, sondern    
  33 nur einen Advocaten wider den Ankläger.    
         
    *)Da hier nur vom Erkenntnißvermögen und also von Vorstellung (nicht dem Gefühl der Lust oder Unlust) die Rede ist, so wird Empfindung nichts weiter als [Seitenumbruch] Sinnenvorstellung (empirische Anschauung) zum Unterschiede sowohl von Begriffen (dem Denken), als auch von der reinen Anschauung (des Raums und der Zeitvorstellung) bedeuten.    
         
     

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