| Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 015 | |||||||
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| 01 | Der attische Philosoph, Hume, hat den Glauben nöthig, wenn | ||||||
| 02 | er ein Ey eßen und ein Glas Waßer trinken soll. Er sagt: Moses, | ||||||
| 03 | das Gesetz der Vernunft, auf das sich der Philosoph beruft, verdammt | ||||||
| 04 | ihn. Die Vernunft ist euch nicht dazu gegeben, dadurch weise zu | ||||||
| 05 | werden, sondern eure Thorheit und Unwißenheit zu erkennen; wie das | ||||||
| 06 | Mosaische Gesetz der Iuden nicht sie gerecht zu machen, sondern ihnen | ||||||
| 07 | ihre Sünden sündlicher. Wenn er den Glauben zum Eßen und | ||||||
| 08 | trinken nöthig hat: wozu verleugnet er sein eigen Principium, wenn | ||||||
| 09 | er über höhere Dinge, als das sinnliche Eßen und trinken urtheilt. | ||||||
| 10 | Durch die Gewohnheit etwas zu erklären - Die Gewohnheit | ||||||
| 11 | ist ein zusammengesetzt Ding, das aus Monaden besteht. Die Gewohnheit | ||||||
| 12 | heist die andere Natur und ist in ihren Phaenomenis eben so räthselhaft | ||||||
| 13 | als die Natur selbst, die sie nachahmt. | ||||||
| 14 | Wenn Hume nur aufrichtig wäre, sich selbst gleichförmig - Allen | ||||||
| 15 | seinen Fehler ungeachtet ist er wie Saul unter den Propheten. Ich | ||||||
| 16 | will ihnen eine Stelle abschreiben, die ihnen beweisen soll, daß man | ||||||
| 17 | im Schertz und ohn sein Wißen und Willen die Wahrheit predigen | ||||||
| 18 | kann, wenn man auch der gröste Zweifler wäre und wie die Schlange | ||||||
| 19 | über das zweifeln wollte, was Gott sagt. Hier ist sie: "Die christl. | ||||||
| 20 | "Religion ist nicht nur mit Wunderwerken am Anfange begleitet gewesen, | ||||||
| 21 | "sondern sie kann auch selbst heut zu Tage von keiner vernünftigen | ||||||
| 22 | "Person ohne ein Wunderwerk geglaubt werden. Die bloße Vernunft | ||||||
| 23 | ist nicht zureichend uns von der Wahrheit derselben zu überzeugen, | ||||||
| 24 | und wer immer durch den Glauben bewogen wird derselben | ||||||
| 25 | "Beyfall zu geben, der ist sich in seiner eigenen Person eines beständig | ||||||
| 26 | "fortgesetzten ununterbrochnen Wunderwerkes bewust, welche alle | ||||||
| 27 | "Grundsätze seines Verstandes umkehrt und demselben eine Bestimmung | ||||||
| 28 | "giebt das zu glauben, was der Gewohnheit und Erfahrung am | ||||||
| 29 | "meisten zuwieder und entgegen ist. | ||||||
| 30 | Bitten Sie Ihren Freund, daß es sich für Ihn am wenigsten | ||||||
| 31 | schickt über die Brille meiner ästhetischen Einbildungskraft zu lachen, | ||||||
| 32 | weil ich mit selbiger die blöden Augen meiner Vernunft wafnen muß. | ||||||
| 33 | Ein zärtlicher Liebhaber läßt sich bey dem Bruche einer Intrigue | ||||||
| 34 | niemals seine Unkosten gereuen. Wenn also vielleicht nach dem neuen | ||||||
| 35 | NaturRecht alter Leute die Rede vom Gelde wäre: so sagen Sie ihm, | ||||||
| 36 | daß ich jetzt nichts habe, und selbst von meines Vaters Gnade leben | ||||||
| 37 | muß; daß ihm aber alles als eigen gehört, was mir Gott geben will | ||||||
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