Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 014 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | und eine Baumgartsche Erklärung wie eine witzige Fleurette an. | ||||||
| 03 | Man hat mir gräuliche Lügen aufgebürdet, HöchstzuEhrender Herr | ||||||
| 04 | Magister. Weil Sie viele Reisebeschreibungen gelesen habn, so wei | ||||||
| 05 | ich nicht, ob Sie dadurch leichtgläubig oder ungläubig geworden sind. | ||||||
| 06 | Die Urheber derselben vergebn ist, weil sie es unwißend thun und wie | ||||||
| 07 | ein comischer Held Prose reden ohne es zu wißen. Lügen ist die | ||||||
| 08 | Muttersprache unserer Vernunft und Witzes. | ||||||
| 09 | Man muß nicht glauben, was man sieht - geschweige was man | ||||||
| 10 | hört. - Wenn zwey Menschen in einer verschiedenen Lage sich befinden, | ||||||
| 11 | müßen Sie niemals über ihre sinnliche Eindrücke streiten. Ein Wächter | ||||||
| 12 | auf einer Sternenwarte kann einem in dritten Stockwerk viel erzählen. | ||||||
| 13 | Dieser muß nicht so tum seyn und ihm seine gesunden Augen absprechen, | ||||||
| 14 | komm herunter: so wirst Du überzeugt seyn, daß Du nichts gesehen hast. | ||||||
| 15 | Ein Mann in einer tiefen Grube, worinn kein Waßer ist, kann am hellen | ||||||
| 16 | Mittag Sterne sehen. Der andere auf der Oberfläche leugnet die Sterne | ||||||
| 17 | nicht - er kann eben nichts als den Herrn des Tages sehen. Weil | ||||||
| 18 | der Mond der Erde näher ist, als der Sonne: so erzählen Sie Ihrem | ||||||
| 19 | Monde Mährchen von der Ehre Gottes. Es ist Gottes Ehre, eine | ||||||
| 20 | Sache verbergen: aber der Könige Ehre ist eine Sache erforschen. | ||||||
| 21 | Wie man den Baum an den Früchten erkennt: so weiß ich da | ||||||
| 22 | ich ein Prophet bin aus dem Schicksal, das ich mit allen Zeugen | ||||||
| 23 | theile, gelästert verfolgt und verachtet zu werden. | ||||||
| 24 | Ich will auf einmal, Mein Herr Magister! Ihnen die Hofnung | ||||||
| 25 | benehmen sich über gewiße Dinge mit mir einzulaßen, die ich beßer | ||||||
| 26 | beurtheilen kann wie Sie, weil ich mehr data darüber weiß, mich auf | ||||||
| 27 | facta gründe, und meine Autoren nicht aus Journalen sondern aus | ||||||
| 28 | mühsamer und täglicher Hin und Herwälzung derselben kenne; nicht Auszüge | ||||||
| 29 | sondern die Acten selbst gelesen habe, worinn des Königs Interesse | ||||||
| 30 | sowohl als des Landes debattirt wird. | ||||||
| 31 | Iedes Thier hat im denken und schreiben seinen Gang. Der | ||||||
| 32 | eine geht in Sätzen und Bogen wie eine Heuschrecke; der andere in | ||||||
| 33 | einer zusammenhängenden Verbindung wie eine Blindschleiche im Fahrgleise, | ||||||
| 34 | der Sicherheit wegen, die sein Bau nöthig haben soll. der | ||||||
| 35 | eine gerade, der andere krumm. Nach Hogarts System ist die Schlangenlinie | ||||||
| 36 | das Element aller malerischen Schönheiten; wie ich es aus der | ||||||
| 37 | Vignette des Titelblattes gelesen habe. | ||||||
| [ Seite 013 ] [ Seite 015 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||