Kant: Briefwechsel, Brief 520, An Iacob Sigismund Beck.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Iacob Sigismund Beck.      
           
  3. Iuli 1792.      
           
  Es ist, hochgeschätzter Freund! ganz gewis nicht Gringschätzung      
  Ihrer mir vorgelegten Fragen gewesen, was mich gehindert hat Ihren      
  letzten Brief zu beantworten, sondern es waren andere Arbeiten, auf      
  die ich mich damals eingelassen hatte und mein Alter, welches mir es      
  jetzt nothwendig macht mein Nachdenken über eine Materie, mit der      
  ich mich beschäftige, durch nichts Fremdartiges zu unterbrechen, indem      
           
  ich sonst den Faden, den ich verlassen hatte, nicht wohl wieder auffinden      
  kan. - Der Unterschied zwischen der Verbindung der Vorstellung      
  in einem Begrif und der in einem Urtheil z. B. der schwarze      
  Mensch und der Mensch ist schwarz, (mit andern Worten: der Mensch      
  der schwarz ist und der Mensch ist schwarz) liegt meiner Meynung      
  nach darinn, daß im ersteren ein Begrif als bestimmt im zweyten      
  die Handlung meines Bestimmens dieses Begrifs gedacht wird.      
  Daher haben Sie ganz recht zu sagen, daß in dem zusammengesetzten      
  Begrif die Einheit des Bewustseyns, als subjectiv gegeben,      
  in der Zusammensetzung der Begriffe aber die Einheit des Bewustseyns,      
  als objectiv gemacht, d. i. im ersteren der Mensch blos als      
  schwarz gedacht (problematisch vorgestellt) im zweyten als ein solcher      
  erkannt werden solle. Daher die Frage, ob ich sagen kan: der schwarze      
  Mensch (der schwarz ist zu einer Zeit) ist weis (d. i. er ist weiß, ausgebleicht,      
  zu einer anderen Zeit) ohne mir zu wiedersprechen? Ich      
  antworte Nein; weil ich in diesem Urtheile den Begrif des Schwarzen      
  in den Begrif des Nichtschwarzen mit herüber bringe, indem das      
  Subject durch den ersteren als bestimmt gedacht wird, mithin, da es      
  beydes zugleich seyn würde, sich unvermeidlich wiederspräche. Dagegen      
  werde ich von eben demselben Menschen sagen können er ist schwarz      
  und auch eben dieser Mensch ist nicht schwarz (nämlich zu einer      
  anderen Zeit, wenn er ausgebleicht ist), weil in beyden Urtheilen nur      
  die Handlung des Bestimmens, welches hier von Erfahrungsbedingungen      
  und der Zeit abhängt, angezeigt wird: In meiner Crit:      
  d. r. V. werden Sie da, wo vom Satz des Wiederspruchs geredet wird,      
  hievon auch etwas antreffen.      
           
  Was Sie von Ihrer Definition der Anschauung: sie sey eine durchgängig      
  bestimmte Vorstellung in Ansehung eines gegebenen Mannigfaltigen,      
  sagen, dagegen hätte ich nichts weiter zu erinnern, als: da      
  die durchgängige Bestimmung hier objectiv und nicht als im Subject      
  befindlich verstanden werden müsse (weil wir alle Bestimmungen des      
  Gegenstandes einer empirischen Anschauung unmöglich kennen können),      
  da dann die Definition doch nicht mehr sagen würde als: sie ist die      
  Vorstellung des Einzelnen gegebenen. Da uns nun kein Zusammengesetztes      
  als ein solches gegeben werden kan, sondern wir die Zusammensetzung      
  des Mannigfaltigen Gegebenen immer selbst machen      
  müssen, gleichwohl aber die Zusammensetzung als dem Objecte gemäs      
           
  nicht willkührlich seyn kan mithin wenn gleich nicht das Zusammengesetzte      
  doch die Form, nach der das Mannigfaltige Gegebene allein      
  zusammengesetzt werden kan, a priori gegeben seyn muß: so ist diese      
  das blos Subjective (Sinnliche) der Anschauung, welches zwar a priori ,      
  aber nicht gedacht (den nur die Zusammensetzung als Handlung      
  ist ein Product des Denkens) sondern in uns gegeben seyn muß      
  (Raum und Zeit) mithin eine einzelne Vorstellung und nicht Begrif      
  ( repraesentatio communis ) seyn muß - Mir scheint es rathsam sich      
  nicht lange bey der allersubtilsten Zergliederung der Elementarvorstellungen      
  aufzuhalten; weil der Fortgang der Abhandlung durch ihren      
  Gebrauch sie hinreichend aufklärt.      
           
  Was die Frage betrift: Kan es nicht Handlungen geben, bey denen      
  eine Naturordnung nicht bestehen kan und die doch das Sittengesetz      
  vorschreibt, so antworte ich, allerdings! namlich eine bestimmte Naturordnung      
  z. B. die der Gegenwärtigen Welt z. B. ein Hofmann muß      
  es als Pflicht erkennen jederzeit warhaft zu seyn, ob er gleich alsdann      
  nicht lange Hofmann bleiben wird. Aber es ist in jenem Typus nur      
  die Form einer Naturordnung überhaupt d. i. der Zusammenhang      
  der Handlungen als Begebenheiten nach sittlichen Gesetzen      
  gleich als Naturgesetzen blos ihrer Allgemeinheit nach; denn      
  dieses geht die besondere Gesetze irgend einer Natur garnicht an.      
           
  Doch ich muß schließen. - Die Ubersendung Ihres Manuscripts      
  wird mir angenehm seyn. Ich werde es für mich und auch in Gemeinschaft      
  mit H. Hofpr[ediger] Schultz durchgehen. - Hrn Prof. Jacob      
  bitte ich für die Übersendung, imgleichen die mir erzeigte Ehre seiner      
  Zuschrift gar sehr zu dancken; imgleichen dem Hrn. Mag. Hoffbauer, der      
  mir seine Analytik zugeschickt hat, dafür zu danken und beyden zu sagen,      
  ich würde nächstens ihre Briefe zu beantworten die Ehre haben      
  Leben sie übrigens recht glücklich - und ich verbleibe      
           
    Der Ihrige      
  Königsberg I Kant      
  den 3 July. 1792        
           
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 346 ] [ Brief 519 ] [ Brief 521 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]