Kant: Briefwechsel, Brief 505, Von Iohann Heinrich Kant.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Heinrich Kant.      
           
  8. Febr. 1792.      
           
  Lieber Bruder!      
  Dein Brief vom 26 Januar a. c: ward mir von Reimers den      
  3ten Febr: eingehändigt; Es war mir ein festlicher Tag, an dem ich      
  einmahl wieder die Hand meines einzigen Bruders, und den Ausdruck      
  seines gegen mich wahrhaftig brüderlich gesinneten Herzens sah und mit      
  rechten Freuden Gefühl genos: mein gutes Weib, die dich, obgleich persönlich      
  unbekannt, recht innig liebet und ehret, trat ganz in meine      
  Empfindungen ein; die sich auch meinen guten, dich aufrichtig liebenden      
  und ehrenden Kindern, recht lebhaft mittheilte.      
           
  Deine liebreiche Versicherung, du habest auf den künftigen Sterbefall,      
  - ferne möge er noch seyn - brüderlich an mich gedacht, bewegte      
  uns alle bis zu Thränen. Dank - herzlicher Dank Dir mein Bruder,      
  für diese Erklärung deines Wohlwollens; meinem treuen Weibe,      
  und meinen wahrhaftig gut gearteten Kindern, möge das      
  was du uns von deinem Vermögen so gütig zugedacht hast,      
  dereinst zu Theil werden, wenn ich einmahl der wahrscheinlichen      
  Regel nach sie hinter mich gelassen habe. Glaube mir - wenn ich      
  dir noch ein recht langes Leben wünsche; - so ist dieser Wunsch      
  wahr - er liegt lebendig in meiner Seelen.      
           
  Ich genieße freudenvoll den Ruhm mit, den du dir als Weltweiser      
  erster Größe, als Schöpfer eines neuen philosophischen Lehrgebändes      
  erwirbst; Gott lasse dich doch, die Vollendung deines Wercks, und      
  seine Ausbreitung auch außer Deutschland, über den Rhein, und über      
  den Pas de Calais erleben. Im 68ten Iahre scheint man freilich schon      
  nahe am Ziel zu stehen - aber so oft ich ein Gelerthen=Lexicon      
  durchblättere, finde ich auf allen Seiten, so viele Schrifsteller, die über      
  80 hinausgega[ng]en sind, daß ichs als bekannt annehme, ein hohes      
  Alter sey caeteris paribus , das glückliche Loos, der Denker, - und      
  Gelerthen, und dabey hoffe dieses Loos werde auch dir mein Bruder      
  zu Theil werden: daß du schwächlich, und valetudinair bist, irrt mich      
  in meiner Hypothese nicht - Fontenelle war es von Kindheit an, und      
  erreichte doch beynahe 90.      
           
  Ich jezt in meinem 57 sten Lebensjahre, bey einer Gesundheit die      
           
  nie wankete, noch in voller Lebenskraft, wünsche, noch etwa 15 bis      
  20 Iahre zu leben, damit die Meinigen bey meinem Tode, nicht ganz      
  leer ausgehen mögen. Im vorigen Iahre endigte ich die Bezahlung      
  meiner Schulden, die ich als Rector in dem theuern - theuern Mitau      
  machen mußte - und nun soll der Ueberschuß der Einkünfte meines      
  Amtes, das mich nähret, Weib und Kindern aufgespart werden.      
           
  Meine Lage war nie so gut, daß ich etwas für meine armen      
  Schwestern thun konnte, um desto lebhafter danke ich dir mein Bruder,      
  daß du alles für sie gethan hast. Du willst mein Bruder - und das      
  ist sehr liebreich von dir - meine FamilienGeschichte wissen - Hier      
  ist sie. Seit 1775 mit einem guten Mädchen ohne Vermögen verheirathet,      
  habe ich 5 lieben Kinder gezeuget - mein guter Sohn Eduard,      
  ward nur 1 Iahr alt. 4 leben noch, und versprechen mir lange zu      
  leben, und herzlich gute Menschen zu werden. Meine älteste Tochter      
  Amalia Charlotte, seit dem 15 Januar 16 Iahre alt: ein lebhaftes      
  aber wißbegieriges Mädchen, und emsige Buchleserin Minna wird      
  den 24ten Aug: 13 Iahre haben - sie verbindet mit einem stillen      
  Character gute Naturgaben, und eine unverdroßene Emsigkeit.      
           
  Friedrich Willhelm - den 27 Novebr 11 Iahre - bieder      
  und gutartig - ein Israelite in dem kein Falsch ist - er wird gewis      
  nie eine andere Lienie betreten als die gerade von einem Punckte zum      
  andern.      
           
  Henriette den 5 Aug: 9 Iahre. voller Feuer bey dem besten      
  Herzen.      
           
  Diese guten Kinder unterrichte ich jzt selbst; Denn der Versuch      
  adeliche Kostgänger, und mit ihnen 2 Hauslehrer hinter einander zu      
  halten, mislang mir gänzlich - Leyder sieth nichts in Curland so      
  schlecht aus als die Erziehung der Iugend - Die Leute - die sich      
  als Hauslehrer durch Empfhelung einschleichen - sind oft wahre      
  Adepten - sie versprechen goldene Berge und zeigen sich am Ende      
  als unwißende Betrüger So gings mir auch.      
           
  Lebe ich, und schenkt mir Gott die Mittel dazu, so wird mein      
  Iunge ein Wundarzt - aber studieren soll er die Chirurgie, und nicht      
  in einer tonstrina Handwercksmäßig erlernen - dieses Fach kann ihm      
  noch in seinem Vaterlande Brod geben, denn mit der Theologie wäre      
  es zu mislich für ihn, da hier so viele auf der expectanten=Bank      
  sitzen - davon über 1/3 im Schulstaube verschmachtet: Oncle und      
           
  Tante Richter - werden wohl beyde schon in der Ewigkeit seyn      
  Sie waren mir väterl[iche] und mütterl[iche] Wohlthäter und Pfleger ich      
  segne ihr Andenken - Sit illis Terra levis - gelegentlich bitte ich      
  ihren nachgelaßenen Sohne meinen Vetter Leopolden herzlich von mir zu      
  grüßen, und ebenso aufrichtig meine guten Schwestern und ihre Kinder,      
  meine Frau und Kinder vereinigen sich in diesem Gruß mit mir      
  jede Nachricht daß es ihnen wohl geth wird mir erfreulich seyn. Meine      
  Frau ist nicht wenig stolz darauf, daß du sie in deinem Briefe, als      
  deine werthe liebe Schwägerin begrüßest, sie umarmet dich - und      
  danket nochmahls recht lebhaft für das grosse oeconomische Werck die      
  Hausmutter, das du ihr vor einigen Iahren zum Geschenke überschicktest      
  - das Buch ist ihre Encylopaedie. Meine Kinder wollen      
  sich durchaus dem Gedächtniß ihres Oncle's einverleiben - ehe du      
  dich versiehst hast du einen Brief von ihnen, der dir freilich zum      
  Durchlesen nicht so viel Zeit stehlen wird als der meinige - er wird      
  kürzer seyn - Verzeihe mir diese weitläuftige Schreiberei - mein      
  Herz riß meine Feder fort - und dieses Herz saget dir - daß ich      
  aufrichtig bin dein dich      
           
    liebender treuer      
    Bruder      
    I. H. Kant.      
  Altrahden        
  den 8 ten Febr        
  1792.        
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 323 ] [ Brief 504 ] [ Brief 506 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]