Kant: Briefwechsel, Brief 504, An Iohann Gottlieb Fichte. |
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An Iohann Gottlieb Fichte. | |||||||
2. Febr. 1792. | |||||||
Ew. Wohlgeboren verlangen von mir belehrt zu werden, ob nicht | |||||||
für Ihre in der jetzigen strengen Censur durchgefallene Abhandlung | |||||||
eine Remedur gefunden werden könne, ohne sie gänzlich zur Seite legen | |||||||
zu dürfen. Ich antworte: Nein! soviel ich nämlich, ohne Ihre | |||||||
Schrift selbst durchgelesen zu haben, aus dem, was Ihr Brief als | |||||||
Hauptsatz derselben anführt, nämlich "daß der Glaube an eine gegebene | |||||||
Offenbarung vernunftmäßig nicht auf Wunderglauben gegründet werden | |||||||
könne" , schließen kann. | |||||||
Denn hieraus folgt unvermeidlich, daß eine Religion überhaupt | |||||||
keine andern Glaubensartikel enthalten könne, als die es auch für die | |||||||
bloße reine Vernunft sind. Dieser Satz ist nun meiner Meinung nach | |||||||
zwar ganz unschuldig und hebt weder die subjective Nothwendigkeit | |||||||
einer Offenbarung, noch selbst das Wunder auf (weil man annehmen | |||||||
kann, daß, ob es gleich möglich ist, sie, wenn sie einmal da sind, auch | |||||||
durch die Vernunft einzusehen, ohne Offenbarung aber die Vernunft | |||||||
doch nicht von selbst darauf gekommen sein würde, diese Artikel zu | |||||||
introduciren, allenfalls anfangs Wunder von nöthen gewesen sein | |||||||
können, die jetzt der Religion zu Grunde zu legen, da sie sich mit | |||||||
ihren Glaubensartikeln nun schon selbst erhalten kann, nicht mehr | |||||||
nöthig sei); allein nach den, wie es scheint, jetzt angenommenen Maximen | |||||||
der Censur würden Sie damit doch nicht durchkommen. Denn nach | |||||||
diesen sollen gewisse Schriftstellen so nach dem Buchstaben in das | |||||||
Glaubensbekenntniß aufgenommen werden, wie sie von dem Menschenverstande | |||||||
schwerlich auch nur gefaßt, viel weniger durch die Vernunft als | |||||||
wahr begriffen werden können, und da bedürfen sie allerdings zu allen | |||||||
Zeiten der Unterstützung durch Wunder und können nie Glaubensartikel | |||||||
der bloßen Vernunft werden. Daß die Offenbarung dergleichen Sätze | |||||||
nur aus Accomodation für Schwache in einer sinnlichen Hülle aufzustellen | |||||||
die Absicht hege, und dieselbe insofern auch, ob zwar blos | |||||||
subjective Wahrheit haben könne, findet bei jenen Censurgrundsätzen | |||||||
gar nicht statt; denn diese fordern Anerkennung der objectiven Wahrheit | |||||||
derselben nach dem Buchstaben. | |||||||
Ein Weg bliebe Ihnen aber doch noch übrig, Ihre Schrift mit | |||||||
den (doch nicht völlig bekannten) Ideen des Censors in Uebereinstimmung | |||||||
zu bringen: wenn es Ihnen gelänge, ihm den Unterschied zwischen einem | |||||||
dogmatischen, über allen Zweifel erhabenen Glauben und einem blos | |||||||
moralischen, der freien, aber auf moralische Gründe (der Unzulänglichkeit | |||||||
der Vernunft, sich in Ansehung ihres Bedürfnisses selbst Genüge | |||||||
zu leisten) sich stützenden Annehmung begreiflich und gefällig zu | |||||||
machen; da alsdann der auf Wunderglauben durch moralisch gute Gesinnung | |||||||
gepfropfte Religionsglaube ungefähr so lauten würde: "Ich | |||||||
glaube, lieber Herr! (d. i. ich nehme es gern an, ob ich es gleich weder | |||||||
mir noch andern hinreichend beweisen kann); hilf meinem Unglauben!" | |||||||
D. h. den moralischen Glauben in Ansehung alles dessen, was ich aus | |||||||
der Wundergeschichtserzählung zu innerer Besserung für Nutzen ziehen | |||||||
kann, habe ich und wünsche auch den historischen, sofern dieser gleichfalls | |||||||
dazu beitragen könnte, zu besitzen. Mein unvorsätzlicher Nichtglaube | |||||||
ist kein vorsätzlicher Unglaube. Allein Sie werden diesen | |||||||
Mittelweg schwerlich einem Censor gefällig machen, der, wie zu vermuthen | |||||||
ist, das historische Credo zur unnachläßlichen Religionspflicht | |||||||
macht. | |||||||
Mit diesen meinen in der Eile hingelegten, ob zwar nicht unüberlegten | |||||||
Ideen können Sie nun machen, was Ihnen gut däucht, ohne | |||||||
jedoch auf den, der sie mittheilt, weder ausdrücklich noch verdeckt Anspielung | |||||||
zu machen; vorausgesetzt, daß Sie sich vorher von deren | |||||||
Wahrheit selbst aufrichtig überzeugt haben. | |||||||
Uebrigens wünsche ich Ihnen in Ihrer gegenwärtigen häuslichen | |||||||
Lage Zufriedenheit und im Falle eines Verlangens, sie zu verändern, | |||||||
Mittel zu Verbesserung derselben in meinem Vermögen zu haben, und | |||||||
bin mit Hochachtung und Freundschaft | |||||||
Ew. Wohlgeboren | |||||||
Königsberg, den 2. Febr. 1792. | ergebenster Diener | ||||||
I. Kant. | |||||||
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