Kant: AA XI, Briefwechsel 1792 , Seite 321 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Ubrigens bin ich, in Begrüssung meiner mir sehr werthen | ||||||
02 | Schwägerinn, mit unveränderlicher Zuneigung | ||||||
03 | Koenigsberg | Dein | |||||
04 | den 26 Januar. | treuer Bruder | |||||
05 | 1792 | I Kant | |||||
504. | |||||||
07 | An Iohann Gottlieb Fichte. | ||||||
08 | 2. Febr. 1792. | ||||||
09 | Ew. Wohlgeboren verlangen von mir belehrt zu werden, ob nicht | ||||||
10 | für Ihre in der jetzigen strengen Censur durchgefallene Abhandlung | ||||||
11 | eine Remedur gefunden werden könne, ohne sie gänzlich zur Seite legen | ||||||
12 | zu dürfen. Ich antworte: Nein! soviel ich nämlich, ohne Ihre | ||||||
13 | Schrift selbst durchgelesen zu haben, aus dem, was Ihr Brief als | ||||||
14 | Hauptsatz derselben anführt, nämlich "daß der Glaube an eine gegebene | ||||||
15 | Offenbarung vernunftmäßig nicht auf Wunderglauben gegründet werden | ||||||
16 | könne" , schließen kann. | ||||||
17 | Denn hieraus folgt unvermeidlich, daß eine Religion überhaupt | ||||||
18 | keine andern Glaubensartikel enthalten könne, als die es auch für die | ||||||
19 | bloße reine Vernunft sind. Dieser Satz ist nun meiner Meinung nach | ||||||
20 | zwar ganz unschuldig und hebt weder die subjective Nothwendigkeit | ||||||
21 | einer Offenbarung, noch selbst das Wunder auf (weil man annehmen | ||||||
22 | kann, daß, ob es gleich möglich ist, sie, wenn sie einmal da sind, auch | ||||||
23 | durch die Vernunft einzusehen, ohne Offenbarung aber die Vernunft | ||||||
24 | doch nicht von selbst darauf gekommen sein würde, diese Artikel zu | ||||||
25 | introduciren, allenfalls anfangs Wunder von nöthen gewesen sein | ||||||
26 | können, die jetzt der Religion zu Grunde zu legen, da sie sich mit | ||||||
27 | ihren Glaubensartikeln nun schon selbst erhalten kann, nicht mehr | ||||||
28 | nöthig sei); allein nach den, wie es scheint, jetzt angenommenen Maximen | ||||||
29 | der Censur würden Sie damit doch nicht durchkommen. Denn nach | ||||||
30 | diesen sollen gewisse Schriftstellen so nach dem Buchstaben in das | ||||||
31 | Glaubensbekenntniß aufgenommen werden, wie sie von dem Menschenverstande | ||||||
32 | schwerlich auch nur gefaßt, viel weniger durch die Vernunft als | ||||||
33 | wahr begriffen werden können, und da bedürfen sie allerdings zu allen | ||||||
34 | Zeiten der Unterstützung durch Wunder und können nie Glaubensartikel | ||||||
35 | der bloßen Vernunft werden. Daß die Offenbarung dergleichen Sätze | ||||||
[ Seite 320 ] [ Seite 322 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |