Kant: Briefwechsel, Brief 502, Von Ludwig Heinrich Iakob.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Ludwig Heinrich Iakob.      
           
  Halle den 24 Jan. 1792      
           
  Ich hoffe, daß Ew. Wohlgebohren die ersten Bände der Ubersetzung      
  von D. Hume werden erhalten haben u. hierbei erfolgt der letztere.      
  Ich wünsche, daß Sie dieses Iahr recht gesund und vergnügt vollenden      
  mögen. Insonderheit verleihe Ihnen der Himmel Stärke u. Muth      
  um Ihre berühmten Arbeiten zu vollenden. Ich setze voraus, da      
  Sie das Exemplar der neuen Ausgabe meines Lehrbuchs, das ich      
           
  Ihnen zu dediciren so frei gewesen bin, empfangen u. gütig aufgenommen      
  haben. Zu dem letzteren berechtiget mich meine Absicht, die      
  keine andere ist und seyn kann, als Ihnen meine innigste Verehrung      
  auch offentlich zu bezeugen.      
           
  Bei allem Anscheine von Enthusiasmus für die Philosophie finde      
  ich doch, daß der Indifferentismus bei weitem größer ist, als man glauben      
  sollte. Es ist ausserordentlich schwer Männer von sonst sehr guten      
  Einsichten zu überzeugen, daß für die allgemeinen und nothwendigen      
  Grundsätze eine neue Deduktion a priori nöthig sey. Fast jeder hat      
  seine eignen freilich oft die seltsamsten Beweise und beruhiget sich dabei      
  so gut als er kann. Die Mathematiker sind hiervon nicht ausgenommen      
  und sind gerade am allerersten dazu aufgelegt die Ideen der Critik      
  miszuverstehen oder sie gar für entbehrlich zu halten. Herr Klügel über      
  die Critik u. besonders über die reine N[atur] W[issenschaft] sprechen zu      
  hören, ist kaum auszuhalten, u. Chymikern u. Physikern scheint es      
  vollends ganz unbegreiflich zu seyn, wie man sich bei Beweisen aus der      
  Induktion u. Analogie nicht beruhigen könne. Herr Selle hat abermals      
  einen Versuch gemacht die Hauptsätze der Critik zu zerstören, und darzuthun,      
  daß alle Erkenntniß aus der Erfahrung entspringen Seine Schrift      
  ist eine Abh[andlung] die er in der Akademie der Wissensch. vorgelesen      
  hat. Ich habe dem HE. Kosmann eine Rec[ension] davon in sein Magazin      
  zugesandt. Die Begriffe sind wieder erbärmlich verdreht, und es wird      
  etwas das kein Mensch behauptet hat, ganz vortrefflich widerlegt. Es      
  scheint mir fast kein anderes Mittel übrig zu seyn, welches nur      
  erst die Nothwendigkeit einer Vernunftcritik einsehen lehrt, als ein      
  fleißigeres Studium der Humischen Schriften. Freilich bildet man sich      
  auch ein, diesen, den Hr. E[berhard] geradezu den seichtesten Kopf nennt,      
  leicht wiederlegen zu können. Aber ich denke doch, uneingenommen      
  muß er zuerst auf den rechten Weg bringen. Ich würde mich sehr      
  freuen, wenn Ew. Wohlgeb. in dieser Rücksicht mir einiges Verdienst      
  zugeständen.      
           
  Hie u. da scheint sich auch die Theologie gegen Ihre Philosophie      
  zu ereifern. Das neu errichtete Religionstribunal ist lange unschlüssig      
  gewesen, ob es nicht Feuer und Schwerdt gegen dieselbe gebrauchen      
  soll und Herr Woltersdorf soll schon eine Schrift fertig haben, in      
  welcher die Schädlichkeit der Kantischen Philosophie auf das evidentste      
  dargethan ist. Indessen hoft man noch, daß einige den rechten Mittelweg      
           
  finden werden und in dieser Rücksicht wird HE. Tieftrunk hierher      
  geschickt, welcher die Philosophie mit der Theologie vereinigen soll.      
           
  Zuletzt wird doch wohl die Wahrheit den Sieg davon tragen      
  und diese Vorstellung wird Ihnen gewiß Muth genug geben Ihr      
  Werk nicht fahren zu lassen u. allen jenen Bewegungen ruhig zuzusehen.      
       
           
  Wie befindet sich HE . D. Iachtmann in seiner neuen Lage      
  Dieser gute Mann hat einige Abende in meinem Hause zugebracht u.      
  mir das Vergnügen gewährt uns recht viel Gutes von Ihnen zu erzählen.      
  Ich bitte Sie mich demselben zu empfehlen; der ich die Ehre      
  habe mit der größten Hochachtung zu seyn      
           
    ganz der Ihrige      
    L H Iakob      
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XI, Seite 318 ] [ Brief 501 ] [ Brief 503 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]