Kant: Briefwechsel, Brief 501, Von Iohann Gottlieb Fichte.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottlieb Fichte.      
           
  23. Ian. 1792.      
           
  Wohlgebohrner Herr,      
  Höchstzuverehrender Herr Profeßor,      
  Ich habe ohnlängst die meinem Herzen sehr erfreuliche Nachricht      
  erhalten, daß Euer Wohlgebohrn mit der liebevollsten Besorgsamkeit      
  bei jener unerwarteten CensurVerweigerung, und Herrn Hartungs      
  darauf gefaßten Entschluße in Ihrem Rathe dabei auf mein mögliches      
  künftiges Wohl bedacht gewesen sind. Das Andenken, und die Besorgsamkeit      
  eines Mannes, der meinem Herzen über alles ehrwürdig ist,      
  ist mir theuer, und ich versichere Dieselben hierdurch meiner wärmsten      
  Dankbarkeit dafür; eine Versicherung, die ich, um Ihrer Zeit zu      
  schonen, erst später würde gegeben haben, wenn ich nicht zugleich Ihres      
  Raths bedürfte.      
           
  Ein Gönner nemlich, den ich verehre, bittet mich in einem Briefe      
  über diesen Gegenstand, der mit einer Güte geschrieben ist, die mich      
  rührt, bei einer durch diesen Aufschub des Druks vielleicht möglichen      
  Revision der Schrift doch noch ein paar Punkte in ein ander Licht zu      
  stellen, die zwischen ihm und mir zur Frage gekommen sind. Ich      
  habe nemlich gesagt, daß der Glaube an eine gegebne Offenbarung      
  vernunftmäßig nicht auf WunderGlauben gegründet werden könne,      
  weil kein Wunder, als solches, zu erweisen sei; habe aber in einer      
  Note hinzugesetzt, daß man, nach anderweitigen guten Gründen, da      
  eine Offenbarung als göttlich annehmbar sei, sich allenfals der Vorstellung      
  von bei ihr geschehnen Wundern bei Subjecten, die so etwas      
  bedürfen, zur Rührung und Bewunderung bedienen könne; die einzige      
  Milderung, die ich diesem Satze geben zu können glaubte. Ich habe      
  ferner gesagt, daß eine Offenbarung weder unsre dogmatischen noch      
  moralischen Erkenntniße ihrer Materie nach erweitern könne; aber      
  wohl zugestanden, daß sie über transscendente Gegenstände, über welche      
  wir zwar das Daß glauben, über das Wie aber nichts erkennen      
  können, etwas bis zur Erfahrung provisorisch, und für die, die es sich      
  so denken wollen, subjectiv wahres hinstellen könne, welches aber nicht      
  für eine materielle Erweiterung, sondern blos für eine zur Form gehörige      
  verkörpernde Darstellung des schon a priori gegebnen Geistigen      
  zu halten sei. Ohnerachtet fortgesezten Nachdenkens über beide Puncte      
           
  habe ich bis jezt keine Gründe gefunden, die mich berechtigen könnten,      
  jene Resultate abzuändern.      
           
  Dürfte ich Euer Wohlgebohrn, als den competentesten Richter      
  hierüber, ersuchen, mir auch nur in zwei Worten zu sagen, ob,      
  und auf welchem Wege andere Resultate über diese Puncte zu suchen      
  seien, oder ob eben jene die einzigen seien, auf welche eine Critik      
  des Offenbarungsbegriffes unausweichlich führen müße? Ich werde,      
  wenn Euer Wohlgebohrn die Güte dieser zwei Worte für mich      
  haben sollten, keinen andern Gebrauch davon machen, als den, der      
  mit meiner innigen Verehrung gegen Sie übereinkommt. Auf oben      
  gedachten Brief habe ich mich schon dahin erklärt, daß ich der Sache      
  weiter nachzudenken nie ablaßen, u. stets bereit sein würde, zurükzunehmen,      
  was ich als Irrthum anerkennen würde.      
           
  Ueber die Censur=Verweigerung an sich habe ich, nach den so      
  deutlich an den Tag gelegten Absichten des Aufsatzes, und nach dem      
  Tone, der durchgängig in ihm herrscht, [mich] nicht anders als wundern      
  können. Auch sehe ich schlechterdings nicht ein, woher die theologische      
  Facultät das Recht bekam, sich mit der Censur einer solchen Behandlung      
  einer solchen Frage zu befaßen.      
           
  Ich wünsche Euer Wohlgebohrn die unerschüttertste Gesundheit,      
  empfehle mich der Fortdauer Deroselben gütiger Gesinnungen, und      
  bitte Sie zu glauben, daß ich mit der innigsten Verehrung bin      
           
    Euer Wohlgebohrn      
  Krockow. p. Neustadt ganz gehorsamster      
  d. 23. Ienner. 1792. I. G. Fichte.      
           
           
           
     

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