Kant: Briefwechsel, Brief 489, Von Iacob Sigismund Beck. |
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| Von Iacob Sigismund Beck. | |||||||
| Halle den 6ten October 1791. | |||||||
| Theuerster Herr Professor, | |||||||
| Vor einiger Zeit erhielt ich einen Brief von dem Buchhändler | |||||||
| Herrn Hartknoch aus Riga, der mich bat und zwar, wie er sagte, auf | |||||||
| Ihren Rath, einen Auszug Ihrer sämmtlichen Schriften lateinisch zu | |||||||
| schreiben. Da ich keinesweges mir die dazu gehörige Fertigkeit des | |||||||
| Ausdrucks in dieser Sprache zutraue, so lehnte ich ohne Bedenken | |||||||
| diesen Antrag von mir ab. Ich that ihm aber einen andern Vorschlag, | |||||||
| den nehmlich, Verleger zu werden von einer Prüfung der | |||||||
| Theorie des Vorstellungsvermögens des Herrn Reinholdts; oder auch | |||||||
| von einer Vergleichung der Humeschen Philosophie mit der Ihrigen, | |||||||
| die ich nach und nach ausarbeiten wollte. Was mich nun auf einmahl | |||||||
| dazu brachte, was schreiben zu wollen, war in Wahrheit nicht GenieDrang, | |||||||
| sondern eine behuthsame Ueberlegung. Da ich nehmlich bedachte, | |||||||
| daß es um das Lesen eines neuen Magisters eine mißliche | |||||||
| Sache ist, und mein anderweitiger Verdienst so geringe ist, daß bey | |||||||
| aller Einschränkung ich dennoch davon nicht subsistiren kann, so fiel | |||||||
| ich auf die, in unsern Tagen leider! von zu vielen zugesprochene, aber | |||||||
| doch noch immer ergiebige Quelle, was zu schreiben. Nun muß ich | |||||||
| freylich gestehen, daß ich nicht sehr gehindert werde, alle blosse Büchermacher | |||||||
| als Betrüger anzusehen. Auch muß ich das gestehen, da | |||||||
| wegen meiner sehr langsamen Progressen in der Mathematick, ja | |||||||
| deswegen, weil ich nichts Neues der Welt zu sagen habe, ich mich | |||||||
| eben für keinen beruffenen Scribenten ansehen kann. Da ich aber | |||||||
| an die Theorie des Vorstellungsvermögens [vermögens] dachte, so schien | |||||||
| der Vorwurf darüber was zu schreiben, einen Theil meiner Bedenklichten | |||||||
| zu heben. Ich bin von der Nichtigkeit dieser Theorie so sehr überzeugt, | |||||||
| daß ich im Stande bin, gar Ihnen, mein Urtheil darüber zu sagen, | |||||||
| und da die Kritick mich überzeugt hat, so glaubte ich über diese Theorie, | |||||||
| nach Anstrengung meiner Kräfte, was Gedachtes und nicht ganz Unnützes | |||||||
| hervorzubringen. Um jedoch nichts zu unternehmen das auch | |||||||
| spätherhin mich mit mir selbst unzufrieden machen dürfte, entschloß ich | |||||||
| mich zu dem, Ihnen, beßter Herr Professor, offenherzig mein Unternehmen | |||||||
| anzuzeigen, und Ihren Rath mir darüber auszubitten. | |||||||
| den 8ten October. | |||||||
| So weit war ich da ich Ihren freundschaftlichen Brief vom | |||||||
| 27ten Sept. erhielt. Nun darf ich mit etwas mehr Muth weiter schreiben. | |||||||
| Zuerst muß ich Ihnen sehr danken, für das Vertrauen das Sie | |||||||
| zu mir fassen. So gut ich nur immer kann, werde ich desselben | |||||||
| mich werth zu machen suchen. Mit Freymüthigkeit, aber auch mit | |||||||
| Furchtsamkeit schicke ich Ihnen eine Probe meiner Aufsätze über die | |||||||
| Theorie des Vorstellungsvermögens. Sie haben die Form der Briefe, | |||||||
| weil ich sie wirklich an einen hiesigen Freund einen gewissen Magister | |||||||
| Rath, der im Stillen die Kritick beherzigt, und den ich sehr liebe, gerichtet | |||||||
| habe, der mir auch ein paar Aufsätze dazu als Antworten versprochen | |||||||
| hat, so daß die ganze Schrift vieleicht 8 Bogen stark werden | |||||||
| könnte. Aber Sie bitte ich vor allen Dingen, sie zu beurtheilen. Das | |||||||
| imprimatur oder non imprimatur soll ganz von Ihnen abhängen. | |||||||
| Eigentlich habe ich wohl die Absicht sie anonymisch zu schreiben. Wenn | |||||||
| Sie aber Gelegenheit haben, mich mit Herrn Reinholdt bekannt zu | |||||||
| machen, so würde das gleichwohl mir angenehm seyn, und ich würde | |||||||
| auch in dem Fall, sehr sorgfältig alles, was selbst entfernt ihn böse | |||||||
| machen könnte, meiner Schrift benehmen. Einen Auszug aus Ihren | |||||||
| kritischen Schriften zu machen, wird vorzüglich daher mir ein angenehmes | |||||||
| Geschäfte seyn, weil Sie mir erlauben, meine Bedenklichkeiten, | |||||||
| grade Ihnen vorzulegen. Die Kritick d. r. V. habe ich mit dem | |||||||
| herzlichsten Interesse studirt, und ich bin von ihr wie von mathematischen | |||||||
| Sätzen überzeugt. Die Kritick der practischen Vernunft ist | |||||||
| seit ihrer Erscheinung meine Bibel. Aber ich wünsche jetzt nicht so | |||||||
| viel, Ihnen geschrieben zu haben, um einige mir vorkommende Schwierigkeiten, | |||||||
| welche jedoch die eigentliche Moral betreffen, Ihnen vorlegen | |||||||
| zu können. | |||||||
| An Herrn Pr. Kraus bitte ich inliegenden Brief abzugeben. Vor | |||||||
| allen Dingen habe ich diesem vortrefflichen Mann die Ursache angeben | |||||||
| müssen, warum ich schriftstellern will. Aber Sie habe ich noch | |||||||
| ganz vorzüglich zu ersuchen ihn zu bitten, daß er mir deshalb nicht | |||||||
| böse seyn wolle. Seinen Unwillen fürchte ich mehr als den Tadel der | |||||||
| Recensenten. | |||||||
| Da Sie so gütig sind zu verlangen, daß ich meinen Brief nicht | |||||||
| frankire, so thue ich es, auch diesesmahl nicht. Da jedoch ich künftig | |||||||
| was verdienen werde, so bitte ich für die Zukunft mir das Porto | |||||||
| tragen zu lassen. Ich bin mit der herzlichsten Hochachtung | |||||||
| der Ihrige | |||||||
| Beck. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 292 ] [ Brief 488 ] [ Brief 490 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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