Kant: Briefwechsel, Brief 488, An Iacob Sigismund Beck. |
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| An Iacob Sigismund Beck. | |||||||
| 27. Sept. 1791. | |||||||
| Aus beyliegendem Briefe Hartknochs an mich werden Sie, | |||||||
| Werthester Freund, ersehen, daß, da jener einen tüchtigen Mann | |||||||
| wünschte, der aus meinen critischen Schriften einen nach seiner eigenen | |||||||
| Manier abgefaßten und mit der Originalität seiner eigenen Denkungsart | |||||||
| zusammenschmeltzenden Auszug machen könnte und wollte, ich nach | |||||||
| der Eröfnung, die Sie mir in Ihrem letzteren Briefe von Ihrer | |||||||
| Neigung gaben, sich mit diesem Studio zu beschäftigen, keinen dazu | |||||||
| geschickteren und zuverläßigern als Sie vorschlagen konnte und Sie | |||||||
| daher ihm vorgeschlagen habe. Ich bin bey diesem Vorschlage freylich | |||||||
| selber interessirt, allein ich bin zugleich versichert, daß, wenn Sie sich | |||||||
| von der Reelität jener Bearbeitungen überzeugen können, Sie wenn | |||||||
| Sie sich einmal darauf eingelassen haben, einen unerschöpflichen Qvell | |||||||
| von Unterhaltung zum Nachdenken, in den Zwischenzeiten da Sie von | |||||||
| Mathematik (der Sie keinesweges dadurch Abbruch thun müssen) ausruhen, | |||||||
| für sich finden werden und umgekehrt, wenn sie von den | |||||||
| ersteren ermüdet sind, an der Mathematik eine erwünschte Erholung | |||||||
| finden können. Denn ich bin theils durch eigene Erfahrung, theils, | |||||||
| und weit mehr, durch das Beyspiel der größten Mathematiker überzeugt, | |||||||
| daß bloße Mathematik die Seele eines denkenden Mannes nicht | |||||||
| ausfülle, daß noch etwas anderes und wenn es auch, wie bey Kästner, | |||||||
| nur Dichtkunst wäre, seyn muß, was das Gemüth durch Beschäftigung | |||||||
| der übrigen Anlagen desselben theils nur erqvickt, theils ihm auch abwechselnde | |||||||
| Nahrung giebt und was kan dazu, und zwar auf die ganze | |||||||
| Zeit des Lebens, tauglicher seyn, als die Unterhaltung mit dem, was | |||||||
| die ganze Bestimmung des Menschen betrift; wenn man vornehmlich | |||||||
| Hofnung hat, daß sie systematisch durchgedacht und von Zeit zu Zeit | |||||||
| immer einiger baare Gewinn darinn gemacht werden kan. Uberdem | |||||||
| vereinigen sich damit zuletzt Gelehrte= so wohl als Weltgeschichte, auch | |||||||
| verliehre ich nicht die Hofnung gänzlich, daß, wenn dieses Studium | |||||||
| gleich nicht der Mathematik neues Licht geben kan, diese doch umgekehrt, | |||||||
| bey dem Uberdenken ihrer Methoden und hevristischen Principien, | |||||||
| sammt den ihnen noch anhängenden Bedürfnissen und Desideraten, auf | |||||||
| neue Eröfnungen für die Critik und Ausmessung der reinen Vernunft | |||||||
| kommen und dieser selbst neue Darstellungsmittel für ihre abstracte | |||||||
| Begriffe, selbst etwas der ars vniuersalis characteristica combinatoria | |||||||
| Leibnitzens Ähnliches, verschaffen könne. Denn die Tafel der Categorien | |||||||
| so wohl als der Ideen, unter welchen die cosmologische Etwas den | |||||||
| unmöglichen Wurzeln *) ähnliches an sich zeigen, sind doch abgezählt | |||||||
| und in Ansehung alles möglichen Vernunftgebrauchs durch Begriffe so | |||||||
| bestimmt, als die Mathematik es nur verlangen kan, um es wenigstens | |||||||
| mit ihnen zu versuchen, wie viel sie, wo nicht Erweiterung, doch wenigstens | |||||||
| Klarheit hinein bringen könne. | |||||||
| Was nun den Vorschlag des Hrn Hartknoch betrift, so ersehe | |||||||
| ich, aus Ihrem mir von ihm communicirten Briefe, daß Sie ihn | |||||||
| nicht schlechterdings abweisen. Ich denke es wäre gut, wenn Sie ungesäumt | |||||||
| daran gingen, um allererst ein Schema im Großen vom | |||||||
| System zu entwerfen, oder, wenn Sie sich dieses schon gedacht haben, | |||||||
| die Theile desselben, daran Sie sich noch etwa stoßen möchten, aussuchen | |||||||
| und mir ihre Zweifel oder Schwierigkeiten von Zeit zu Zeit | |||||||
| communiciren möchten, (wobey mir lieb wäre, wenn Ihnen jemand, | |||||||
| vielleicht Hr: Prof: Jacob, den ich herzlich zu grüssen bitte, behülflich | |||||||
| wäre, aus allen Gegenschriften, [als den Abhandlungen, vornehmlich] | |||||||
| Recensionen im Eberhardschen Magazin, aus den älteren Stücken der | |||||||
| Tübinger gel. Zeitung und wosonst noch dergleichen anzutreffen seyn | |||||||
| mag] vornehmlich die mir vorgerückte Wiedersprüche in terminis aufzusuchen; | |||||||
| denn ich habe den Misverstand in diesen Einwürfen zu entwickeln | |||||||
| so leicht gefunden, daß ich sie längstens alle insgesammt in | |||||||
| einer Collection aufgestellt und wiederlegt haben würde, wenn ich nicht | |||||||
| vergessen hatte mir die jedesmal bekannt gewordene aufzuzeichnen und | |||||||
| zu sammeln). An die lateinische Ubersetzung kan, wenn Ihr Werk im | |||||||
| Deutschen herausgekommen wäre, immer noch gedacht werden. | |||||||
| Was die dem Hartknoch vorgeschlagene zwey Abhandlungen, | |||||||
| nämlich die über Reinholds Theorie des Vorstellungsvermögens und | |||||||
| die Gegeneinanderstellung der Humischen und K-tschen Philosophie | |||||||
| betrift, (in Ansehung der letzteren Abhandl[ung] bitte ich den Band von | |||||||
| seinen Versuchen nachzusehen, darinn sein - Hume's - moralisches | |||||||
| Princip anzutreffen ist, um es auch mit dem meinigen zu vergleichen, | |||||||
| mit welchem auch sein ästhetisches daselbst angetroffen wird) so würde, | |||||||
| wenn letztere Ihnen nicht zu viel Zeit wegnähme, es allerdings der | |||||||
| Bearbeitung des ersteren Thema vor der Hand vorzuziehen sey. Denn | |||||||
| Reinhold, ein sonst lieber Mann, hat sich in seine mir noch nicht wohl | |||||||
| fasliche Theorie so leidenschaftlich hinein gedacht, daß, wenn es sich | |||||||
| zutrüge, daß Sie in einem oder anderen Stücke, oder wohl gar in | |||||||
| Ansehung seiner ganzen Idee, mit ihm uneins wären, er darüber in | |||||||
| Unzufriedenheit mit seinen Freunden versetzt werden könnte. Gleichwohl | |||||||
| wünsche ich wirklich, daß Sie nichts hinderte jene Prüfung zu | |||||||
| bearbeiten und herauszugeben und thue dazu den Vorschlag: daß, | |||||||
| wenn Sie mich mit Ihrer Antwort auf diesen meinen Brief beehren, | |||||||
| Sie mir auch Ihre Meynung darüber sagen möchten: ob Sie wohl | |||||||
| dazu einstimmeten, daß ich an Reinhold schriebe, ihn mit Ihrem Character | |||||||
| und jetziger Beschaftigung bekannt machte und zwischen ihnen | |||||||
| Beyden, da sie einander so nahe sind, eine litterärische Correspondenz, | |||||||
| die ihm gewis sehr lieb seyn wird, veranstaltete, wodurch vielleicht eine | |||||||
| freundschaftliche Ubereinkunft in Ansehung dessen, was Sie über jene | |||||||
| Materie schreiben wollen, zu Stande gebracht werden könnte | |||||||
| Das Honorarium für Ihre Arbeiten (philosophische sowohl als | |||||||
| mathematische) würde ich zwischen Ihnen und Hartknoch schon vermitteln, | |||||||
| wenn Sie mir darüber nur einigen Wink geben; unter 5 oder | |||||||
| 6 rthlr den Bogen brauchen Sie ihre Arbeit ihm nicht zu lassen. | |||||||
| Ich beharre mit der größten Hochachtung und freundschaftlichster | |||||||
| Zuneigung | |||||||
| Koenigsberg | der Ihrige | ||||||
| den 27 Sept: 1791 | I Kant | ||||||
| N. S. Wegen des Postporto bitte ich nochmals mich keineswegs | |||||||
| zu schonen. | |||||||
| * Wenn es nach dem Grundsatze: in der Reihe der Erscheinungen ist alles bedingt ich doch zum unbedingten und dem obersten Grunde des Gantzen der Reihe strebe so ist es als ob ich √-2 suchte. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 289 ] [ Brief 487 ] [ Brief 489 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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