Kant: Briefwechsel, Brief 482, Von Iohann Gottlieb Fichte. |
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| Von Iohann Gottlieb Fichte. | |||||||
| [18. Aug. 1791.] | |||||||
| Verehrungswürdiger Mann, | |||||||
| Denn andre Titel mögen für die bleiben, denen man diesen nicht | |||||||
| aus der Fülle des Herzens geben kann: - Ich kam nach Königsberg, | |||||||
| um den Mann, den ganz Europa verehrt, den aber gewiss in ganz | |||||||
| Europa wenig Menschen so lieben, wie ich, näher kennen zu lernen. | |||||||
| Ich stellte mich Ihnen dar. Erst später bedachte ich, dass es Vermessenheit | |||||||
| sei, auf die Bekanntschaft eines solchen Mannes Anspruch | |||||||
| zu machen, ohne die geringste Befugniss dazu aufzuweisen zu haben. | |||||||
| Ich hätte Empfehlungsschreiben haben können. Ich mag nur diejenigen, | |||||||
| die ich mir selbst mache. Hier ist das meinige. | |||||||
| Es ist mir schmerzhaft, es Ihnen nicht mit dem frohen Bewustsein | |||||||
| übergeben zu können, mit dem ich mir's dachte. Es kann dem | |||||||
| Manne, der in Seinem Fache alles tief unter Sich erbliken muss, was | |||||||
| ist, und was war, nichts neues sein, zu lesen, was Ihn nicht befriedigt; | |||||||
| und wir andern alle werden uns Ihm, wie der reinen Vernunft | |||||||
| selbst in einem Menschenkörper, nur mit bescheidner Erwartung Seines | |||||||
| Ausspruchs nahen dürfen. Es würde vielleicht mir, dessen Geist in | |||||||
| mancherlei Labyrinthen herumirrte, ehe ich ein Schüler der Critik wurde, | |||||||
| der ich dies erst seit sehr kurzer Zeit bin, und dem seine Lage nur | |||||||
| einen kleinen Theil dieser kurzen Zeit diesem Geschäfte zu widmen erlaubt | |||||||
| hat, von einem solchen Manne, und von meinem Gewissen verziehen | |||||||
| werden, wenn meine Arbeit auch noch unter dem Grade der | |||||||
| Erträglichkeit wäre, auf welchem der Meister das Beste erblikt. Aber | |||||||
| kann es mir verziehen werden, dass ich sie Ihnen übergebe, da sie | |||||||
| nach meinem eignen Bewustsein schlecht ist? Werden die derselben | |||||||
| angehängten Entschuldigungen mich wirklich entschuldigen? Der grosse | |||||||
| Geist würde mich zurükgeschrekt haben, aber das edle Herz, das mit | |||||||
| jenem vereint allein fähig war, der Menschheit Tugend und Pflicht | |||||||
| zurükzugeben, zog mich an. Ueber den Werth meines Aufsatzes habe | |||||||
| ich das Urtheil selbst gesprochen: ob ich jemals etwas besseres liefern | |||||||
| werde, darüber sprechen Sie es. Betrachten Sie es als das Empfehlungsschreiben | |||||||
| eines Freundes, oder eines blossen Bekannten, oder | |||||||
| eines gänzlich Unbekannten, oder als gar kein's. Ihr Urtheil wird | |||||||
| immer gerecht sein. Ihre Grösse, vortreflicher Mann, hat vor aller | |||||||
| gedenkbaren menschlichen Grösse das Auszeichnende, das Gottähnliche, | |||||||
| dass man sich ihr mit Zutrauen nähert. | |||||||
| Sobald ich glauben kann, dass Dieselben diesen Aufsatz gelesen | |||||||
| haben, werde ich Ihnen persönlich aufwarten, um zu erfahren, ob ich | |||||||
| mich ferner nennen darf | |||||||
| Euer Wohlgebohren | |||||||
| innigsten Verehrer | |||||||
| Johann Gottlieb Fichte. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 276 ] [ Brief 481 ] [ Brief 483 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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