Kant: Briefwechsel, Brief 483, Von Iohann Gottlieb Fichte.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottlieb Fichte.      
           
  [2. Sept. 1791.]      
           
         
  Wohlgebohrner Herr      
  Höchstzuverehrender Herr Professor,      
  Euer Wohlgebohrn verzeihen gütigst, dass ich abermals lieber      
  schriftlich als mündlich mit Ihnen reden will.      
         
           
         
  Dieselben haben mich mit einer gütigen Wärme empfohlen, um      
  die ich nicht gewagt hätte, Sie zu bitten; eine Grosmuth, die meine      
  Dankbarkeit unendlich vermehrt, und mir Muth macht, mich Euer      
  Wohlgebohrn ganz zu entdeken; welches ich in Absicht Ihres Charakters      
  zwar auch vorher wagen, aber ohne eine nähere Erlaubniss von Ihnen      
  mir nicht verstatten durfte, ein Bedürfniss, das derjenige, der sich nicht      
  gern Jedermann entdekt, gegen den ganz guten Character doppelt fühlt.      
         
           
         
  Zuerst erlauben mir Euer Wohlgebohrn, zu versichern, dass mein      
  Entschluss lieber nach Königsberg, als sogleich zurük nach Sachsen zu      
  gehen, zwar insofern eigennützig war, dass ich das Bedürfniss Dem      
  Manne, dem ich alle meine Ueberzeugungen und Grundsätze, dem ich      
  meinen Character bis auf das Bestreben einen haben zu wollen verdanke,      
  einen Theil meiner Empfindungen zu entdeken befriedigen, so      
  viel in kurzer Zeit möglich, Sie benutzen, und wenn es sein könnte,      
  mich Ihnen für meine etwanige künftige Laufbahn vortheilhaft empfehlen      
  wollte; dass ich aber ein so gegenwärtiges Bedürfnis Ihrer      
  Güte nicht voraussetzen konnte, weil ich mir theils Königsberg so      
  reich, und noch reicher an Hülfsmittteln, als z. B. Leipzig vorstellte,      
  theils im äussersten Falle durch einen Freund, der in einem angesehenem      
  Amte in Riga steht, von hieraus in Liefland unterzukommen glaubte.      
  - Ich glaube diese Versicherung theils mir selbst schuldig zu sein,      
  um auf Empfindungen, die rein aus meinem Herzen flossen, keinen      
  Verdacht eines niedern Eigennutzes zu lassen; theils Ihnen, wenn ein      
  freier offener Dank des durch Sie unterrichteten und gebesserten Ihnen      
  lieb ist.      
         
           
         
  Ich habe das Geschäft des HausLehrers 5. Jahre lang getrieben,      
  und die Unannehmlichkeit desselben, Unvollkommenheiten sehen zu      
  müssen, die von wichtigen Folgen sind, und an dem Guten, das man      
  stiften könnte, kräftig verhindert zu werden, so empfunden, dass ich es      
  nunmehr vor 1 1/2 Jahre auf immer aufzugeben glaubte; und dass ich      
           
  ängstlich werde, wenn ein wohlwollender Mann es übernimmt, mich      
  zu diesem Geschäfte zu empfehlen, indem ich befürchten muss, dass es      
  nicht ganz zu seinem Vergnügen ausschlagen möchte. Ich liess mich      
  durch die wenig gegründete Hofnung es einmal besser anzutreffen, und      
  vielleicht unmerklich durch Aussicht auf Geld-Vortheil, und Grösse ohne      
  gehörige Ueberlegung hinreissen, dies Geschäft noch einmal in Warschau      
  zu übernehmen; ein Entschluss, dessen Vereitlung ich nach Entwikelung      
  der Verlegenheiten, in denen ich jetzo bin, seegnen werde. Ich fühle      
  dagegen das Bedürfniss, alles das, was zu frühes Lob gütiger aber      
  zu wenig weiser Lehrer, eine fast vor dem Uebertritte in's eigentliche      
  JünglingsAlter durchlaufene academische Laufbahn, und seitdem die      
  beständige Abhangigkeit von den Umständen mich versäumen liessen,      
  nachzuholen, ehe die Jahre der Jugend vollends verfliegen, mit Aufgebung      
  aller ehrgeitzigen Ansprüche, die mich eben zurükgesezt haben,      
  mich zu allem zu bilden, wozu ich tüchtig werden kann, und das übrige      
  den Umständen zu überlassen, täglich stärker. Diesen Zwek kann ich      
  nirgends sichrer erreichen, als in meinem Vaterlande. Ich habe Eltern,      
  die mir zwar nichts geben können, bei denen ich aber doch mit      
  geringem Aufwand leben kann. Ich kann da mich mit schriftstellerischen      
  Arbeiten beschäftigen (das wahre Mittel der Ausbildung für mich, der      
  ich alles in mich hineinschreiben muss, und der ich zu viel Ehrliebe      
  habe, um etwas zum Druk zu geben, worüber ich nicht selbst völlig      
  gewiss bin) und eben beim Aufenthalte in meiner vaterländischen      
  Provinz (der Ober-Lausitz) am ehsten und leichtesten durch eine      
  DorfPfarre die völlige litterarische Musse erhalten, die ich bis zu      
  meiner völligen Reife wünsche. Das beste für mich scheint also,      
  in mein Vaterland zurükzugehen. Hierzu aber sind mir die Mittel      
  abgeschnitten. Ich habe noch 2. Ducaten, und diese sind nicht mein,      
  denn ich habe sie für Miethe, u. dergl. zu bezahlen. Es scheint      
  also kein Mittel übrig zu sein, mich zu retten, wenn sich nicht      
  Jemand findet, der mir Unbekannten, bis auf die Zeit, da ich sicher      
  rechnen kann wieder zu bezahlen, d. i. bis Ostern künftigen Jahrs,      
  gegen Verpfändung meiner Ehre, und im festen Vertrauen auf dieselbe,      
  die Kosten der Rükreise vorstreke. Ich kenne niemanden,      
  dem man dieses Pfand, ohne Furcht in's Gesicht gelacht zu bekommen,      
  anbieten dürfte, als Sie, tugendhafter Mann.      
         
           
         
  Ich habe die Maxime, niemanden etwas anzumuthen, ohne      
           
  untersucht zu haben, ob ich selbst vernünftiger Weise bei umgekehrtem      
  Verhältnisse eben das für jemand thun könnte; und habe      
  in gegenwärtigem Falle gefunden, dass ich, die physische Möglichkeit      
  vorausgesezt, es für Jeden thun würde, dem ich die Grundsätze      
  sicher zutrauen könnte, von denen ich wirklich durchdrungen bin.      
         
           
         
  Ich glaube so sicher an eine eigentliche Hingebung der Ehre      
  zum Pfande, dass ich durch die Nothwendigkeit etwas auf sie versichern      
  zu müssen, einen Theil derselben zu verlieren glaube; und      
  die tiefe Beschämung, die mich dabei betrift, ist Ursache, dass ich      
  einen Antrag von gegenwärtiger Art nie mündlich machen kann, da      
  ich niemand zum Zeugen derselben wünsche. Meine Ehre scheint      
  mir so lange, bis das bei derselben geschehene Versprechen erfüllt      
  ist, wirklich problematisch, weil es dem andern Theile immer möglich      
  ist, zu denken, ich werde es nicht erfüllen. Ich weiss also, dass,      
  wenn Euer Wohlgebohrn meinen Wunsch erfüllen sollten, ich zwar      
  immer mit inniger Verehrung und Dankbarkeit, aber doch mit einer      
  Art von Beschämung an Sie zurükdenken werde, und dass das völlig      
  freudige Andenken einer Bekanntschaft, die ich bestimmte, mir lebenslang      
  wohl zu machen, mir nur dann möglich sein wird, wenn ich      
  mein Wort werde gelös't haben. Diese Gefühle kommen aus dem      
  Temperamente, ich weiss es, und nicht aus Grundsätzen, und sie      
  sind vielleicht fehlerhaft; aber ich mag sie nicht ausrotten, bis die      
  völlige Festigkeit der leztern mir diese Ergänzung derselben ganz      
  entbehrlich macht. In so weit aber kann ich mich auch auf meine      
  Grundsätze verlassen, dass, wenn ich fähig sein sollte mir ein Ihnen      
  gegebenes Wort nicht zu halten, ich mich zeitlebens verachten, und      
  scheuen müste einen Blik in mein Inneres zu thun, Grundsätze, die      
  mich stets an Sie, und an meine Ehrlosigkeit erinnerten, aufgeben      
  müste, um mich der peinlichsten Vorwürfe zu entledigen.      
         
           
         
  Dürfte ich eine solche Denkungsart bei Jemanden vermuthen,      
  so würde ich das, wovon die Rede ist, sicher für ihn thun; wie      
  aber, und durch welche Mittel ich mich, wenn ich an Ihrer Stelle      
  wäre, von der Anwesenheit einer solchen Denkungsart bei mir überzeugen      
  könnte, ist mir nicht eben so klar.      
         
           
         
  Ich, Verehrungswürdiger Mann, schloss, wenn es mir erlaubt ist      
  sehr grosses mit sehr kleinem zu vergleichen, aus Ihren Schriften      
  mit völliger Zuversicht auf einen mustermässigen Character, und ich      
           
  würde, auch noch ehe ich das geringste von Ihrer Handlungsart im      
  bürgerlichen Leben wuste, alles verwettet haben, dass es so sei.      
  Von mir habe ich Ihnen, jedoch zu einer Zeit da es mir noch gar      
  nicht einfiel je so einen Gebrauch von Ihrer Bekanntschaft zu machen,      
  nur eine Kleinigkeit vorgelegt, und mein Character ist wohl noch      
  nicht fest genug, um sich in Allem abzudrüken; aber dafür sind      
  Euer Wohlgebohrn auch ein ohne Vergleich grössrer Menschenkenner,      
  und erbliken vielleicht auch in dieser Kleinigkeit Wahrheitsliebe,      
  und Ehrlichkeit, wenn sie in meinem Character sind.      
         
           
         
  Endlich - und dies setze ich beschämt hinzu - ist, wenn ich      
  fähig sein sollte mein Wort nicht zu halten, auch meine Ehre vor      
  der Welt in Ihren Händen. Ich denke unter meinem Namen Schriftsteller      
  zu werden; ich werde Sie, wenn ich zurückreisen sollte, um Empfehlungsschreiben      
  an einige Gelehrte bitten. Diesen, deren gute Meinung      
  ich dann Ihnen dankte, meine Ehrlosigkeit zu melden, wäre,      
  meiner Meinung nach, Pflicht; so wie es überhaupt, glaub ich, Pflicht      
  wäre, die Welt vor einem so schlechterdings unverbesserlichen Character      
  zu warnen, als darzu gehören würde, um zu dem Manne, in      
  dessen Atmosphäre der Falschheit weh' werden sollte, zu kommen,      
  und durch angenommene Mine der Ehrlichkeit seinen Scharfblik      
  täuschen, und der Tugend und der Ehre so gegen ihn zu spotten.      
         
           
         
  Das waren die Betrachtungen, die ich anstellte, ehe ichs wagte,      
  Euer Wohlgebohrn diesen Brief zu schreiben. Ich bin, zwar mehr      
  aus Temperament und durch meine gemachte Erfahrungen, als aus      
  Grundsätzen, sehr gleichgültig über das, was nicht in meiner Gewalt      
  ist. Ich bin nicht das erstemal in Verlegenheiten, aus denen ich      
  keinen Ausweg sehe; aber es wäre das erstemal, dass ich in ih[n]en      
  bleibe. Neugier, wie es sich entwikeln wird ist meist alles, was      
  ich in solchen Vorfällen fühle. Ich ergreife schlechtweg die Mittel,      
  die mir mein Nachdenken, als die besten zeigt, und erwarte dann      
  ruhig den Erfolg. Hier kann ich es um destomehr, da ich ihn in      
  die Hände eines weissen, und guten Mannes lege. Aber von einer      
  andern Seite überschike ich diesen Brief mit einem ungewohnten      
  Herzklopfen. Ihr Entschluss mag sein, welcher es will, so verliere      
  ich etwas von meiner Freudigkeit zu Ihnen. Ist er bejahend, so      
  kann ich das verlohrne einst wieder erwerben; ist er verneinend,      
  nie, wie es mir scheint.      
         
           
           
         
  Indem ich schliessen will, fällt mir die Anecdote von jenem      
  edlen Türken bei, der einem ganz unbekannten Franzosen einen      
  ähnlichen Antrag machte. Der Türk ging gerader und offener; er      
  hatte unter seiner Nation wahrscheinlich nicht die Erfahrungen gemacht,      
  die ich unter der meinigen gemacht habe: aber er wuste      
  auch nicht mit der Ueberzeugung, dass er mit einem edlen Manne      
  zu thun habe, mit der ich es weiss. Ich schäme mich der Schaam,      
  die mich zurükhält bei dieser Empfindung meinen Brief ins Feuer zu      
  werfen; hinzugehn; und Sie anzureden, wie der edle Türk den Franzosen.      
       
         
           
         
  Wegen des Tones, der in diesem Briefe herrscht, darf ich Euer      
  Wohlgebohrn nicht um Verzeihung bitten. Das ist eben eine Auszeichnung      
  des Weissen, dass man mit [ihm] redet, wie ein Mensch      
  mit einem Menschen.      
         
           
         
  Ich werde, sobald ich hoffen darf, Dieselben nicht zu stören,      
  Ihnen aufwarten, um Ihren Entschluss zu wissen; und bin mit inniger      
  Verehrung und Bewunderung      
         
           
         
    Euer Wohlgebohrn      
    ganz gehorsamster      
    J. G. Fichte.      
         
           
           
           
     

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