Kant: AA XI, Briefwechsel 1791 , Seite 278

     
           
 

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    483.      
  02 Von Iohann Gottlieb Fichte.      
           
  03 [2. Sept. 1791.]      
           
         
  04 Wohlgebohrner Herr      
  05 Höchstzuverehrender Herr Professor,      
  06 Euer Wohlgebohrn verzeihen gütigst, dass ich abermals lieber      
  07 schriftlich als mündlich mit Ihnen reden will.      
         
           
         
  08 Dieselben haben mich mit einer gütigen Wärme empfohlen, um      
  09 die ich nicht gewagt hätte, Sie zu bitten; eine Grosmuth, die meine      
  10 Dankbarkeit unendlich vermehrt, und mir Muth macht, mich Euer      
  11 Wohlgebohrn ganz zu entdeken; welches ich in Absicht Ihres Charakters      
  12 zwar auch vorher wagen, aber ohne eine nähere Erlaubniss von Ihnen      
  13 mir nicht verstatten durfte, ein Bedürfniss, das derjenige, der sich nicht      
  14 gern Jedermann entdekt, gegen den ganz guten Character doppelt fühlt.      
         
           
         
  15 Zuerst erlauben mir Euer Wohlgebohrn, zu versichern, dass mein      
  16 Entschluss lieber nach Königsberg, als sogleich zurük nach Sachsen zu      
  17 gehen, zwar insofern eigennützig war, dass ich das Bedürfniss Dem      
  18 Manne, dem ich alle meine Ueberzeugungen und Grundsätze, dem ich      
  19 meinen Character bis auf das Bestreben einen haben zu wollen verdanke,      
  20 einen Theil meiner Empfindungen zu entdeken befriedigen, so      
  21 viel in kurzer Zeit möglich, Sie benutzen, und wenn es sein könnte,      
  22 mich Ihnen für meine etwanige künftige Laufbahn vortheilhaft empfehlen      
  23 wollte; dass ich aber ein so gegenwärtiges Bedürfnis Ihrer      
  24 Güte nicht voraussetzen konnte, weil ich mir theils Königsberg so      
  25 reich, und noch reicher an Hülfsmittteln, als z. B. Leipzig vorstellte,      
  26 theils im äussersten Falle durch einen Freund, der in einem angesehenem      
  27 Amte in Riga steht, von hieraus in Liefland unterzukommen glaubte.      
  28 - Ich glaube diese Versicherung theils mir selbst schuldig zu sein,      
  29 um auf Empfindungen, die rein aus meinem Herzen flossen, keinen      
  30 Verdacht eines niedern Eigennutzes zu lassen; theils Ihnen, wenn ein      
  31 freier offener Dank des durch Sie unterrichteten und gebesserten Ihnen      
  32 lieb ist.      
         
           
         
  33 Ich habe das Geschäft des HausLehrers 5. Jahre lang getrieben,      
  34 und die Unannehmlichkeit desselben, Unvollkommenheiten sehen zu      
  35 müssen, die von wichtigen Folgen sind, und an dem Guten, das man      
  36 stiften könnte, kräftig verhindert zu werden, so empfunden, dass ich es      
  37 nunmehr vor 1 1/2 Jahre auf immer aufzugeben glaubte; und dass ich      
           
     

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