Kant: Briefwechsel, Brief 475, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. |
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Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. | |||||||
Berlin den 3ten Iuli 1791. | |||||||
Theuerster Herr Professor, | |||||||
Herr la Garde hat mir die unangenehme Nachricht hinterbracht, | |||||||
daß Sie, wie ihm HE. D. Biester erzählt, auf ihn und mich sehr | |||||||
ungehalten sind, daß ich diese Messe in seinem Verlage ein Lehrbuch | |||||||
einer reinen allgemeinen Logik nach Ihren Grundsätzen herausgegeben | |||||||
habe, und ich versichre Sie, daß diese Nachricht mich ganz erschüttert | |||||||
hat. - Ein Mann, den ich so aufrichtig verehre und liebe ist mit | |||||||
meinem Betragen nicht zufrieden, ist sogar ungehalten auf mich - Sie | |||||||
können glauben, daß mich das schmerzen mußte. Allein ich bin mir | |||||||
keines Vergehens bewußt, und je länger ich über die Sache nachdenke, | |||||||
desto mehr leuchtet es mir ein, daß hier ein bloßes Mißverständniß, | |||||||
welches ich freilich trotz alles Nachdenkens nicht herausbringen kann, | |||||||
zum Grunde liegen muß. Erlauben Sie daher, daß ich Ihnen die | |||||||
ganze Sache vortrage, Sie als ein so billig denkender Mann werden | |||||||
sodann gewiß finden, daß mich auch nicht einmal der Schein eines | |||||||
Vergehens treffen kann. | |||||||
Schon, als ich noch in Halle war, faßte ich den Entschluß den | |||||||
Versuch zu machen, nach Ihrer Angabe eine reine allgemeine Logik | |||||||
zu schreiben und ich arbeitete auch schon damals über mehrere einzelne | |||||||
Gegenstände derselben etwas aus. Diese wenigen Blätter brachte ich | |||||||
nach Königsberg mit. Ich erzählte Ihnen, daß ich in Berlin Vorlesungen | |||||||
über Logik zu halten gesonnen sei und daß ich zu diesem Behuf | |||||||
in der Folge einige Bogen drucken laßen wollte; fragte Sie eben | |||||||
damals, was für ein Lehrbuch Sie wohl unterdessen für das Beste | |||||||
hielten, und Sie gaben mir (dis steht alles noch lebhaft in meinem | |||||||
Gedächtniß) zur Antwort, daß Sie, wie ich wüßte, Logik nach Mayer | |||||||
läsen, daß Sie aber mit diesem Lehrbuch nicht zufrieden wären. Ich | |||||||
arbeitete noch in Königsberg den größten Theil der Hefte zu diesen | |||||||
logischen Vorlesungen aus, las Ihnen mehremal Stücke derselben zur | |||||||
Beurtheilung vor, und Sie waren so gütig, sich mit mir darüber zu | |||||||
unterhalten und meine Vorstellungen zu berichtigen, dis war z. B. der | |||||||
Fall bei der Eintheilung der Begriffe nach den Tafeln der Kategorien, | |||||||
bei der Eintheilung der Schlüsse in Verstandesschlüsse, in Schlüsse der | |||||||
Urtheilskraft und der Vernunft u.s.w., ja Sie waren so gütig mir | |||||||
Materialien zu einer Einleitung in die Logik zu dictiren. - Ich ging | |||||||
nach Berlin und las zweimal Logik nach meinen Heften; aber meine | |||||||
Zuhörer wollten einen Leitfaden haben, und ob ich ihnen gleich das | |||||||
Lehrbuch d. HE. Prof. Iakob dazu vorschlug und von diesem auch mehrere | |||||||
Exemplare von Halle kommen ließ, so waren sie doch nicht damit zufrieden, | |||||||
weil sein Gang und der meinige verschieden waren und lagen | |||||||
mich an, meine Hefte drucken zu laßen. Ich sprach vorläufig deshalb | |||||||
mit HE. la Garde, ohne doch etwas gewisses festzusetzen und daher | |||||||
kam es, daß mein Buch vergangene Michaelismesse nicht unter die | |||||||
zukünftigen Bücher angekündigt wurde. Als ich vergangene Michaelis | |||||||
nach Königsberg kam, um Sie zu besuchen, nahm ich meine Hefte mit, | |||||||
und legte Ihnen noch über mehrere Gegenstände, die ich bei der Ausarbeitung | |||||||
mir nicht ganz hatte entwickeln können, Fragen vor, die Sie | |||||||
mir gütigst beantworteten. - Konnte ich also nicht mit Wahrheit | |||||||
sagen, daß ich Ihnen einen großen Theil der Materialien zu dieser | |||||||
Schrift verdanke, daß Sie einen Theil dieser Arbeiten kennen und | |||||||
würde ich nicht undankbar gegen Sie gewesen sein, wenn ich das Bekenntniß | |||||||
nicht freimüthig gethan hätte, daß das wenige Gute, was | |||||||
etwa in dem Buche sei, Ihnen angehöre? - Heimlich habe ich die | |||||||
Herausgabe eines Lehrbuchs der r[einen] a[llgemeinen] Logik nie gehalten, | |||||||
ich habe mit HE. Hofprediger Schulz und mit HE. Mag. | |||||||
Gensichen oft über diesen Punkt gesprochen, und warum sollte ich auch | |||||||
ein Geheimniß daraus machen? Ist es denn etwa unerlaubt, den | |||||||
Versuch zu wagen, eine reine allg. Logik nach Ihren Grundsätzen zu | |||||||
verfertigen und dem Publiko zur Prüfung vorzulegen, selbst wenn ich | |||||||
dergleichen auch nicht als Lehrbuch gebraucht hätte, hat HE. Prof. | |||||||
Iakob, HE. Adj[unct] Schmidt, HE. Prof. Hufeland mit mehreren Theilen | |||||||
des dogmatischen Theils Ihres Systems nicht dasselbe gethan? Allein | |||||||
wenn ich auch annehme, daß Sie vergessen hätten oder daß es Ihnen | |||||||
entgangen sei, daß ich Ihnen gesagt habe, ich sei Willens dereinst | |||||||
einige Bogen über die r. a. Log. herauszugeben, so sehe ich doch noch | |||||||
nicht ein, was Sie ungehalten machen könnte. Ich habe ja nicht Hefte | |||||||
von Ihnen drucken laßen, dazu bedurfte ich Ihrer Erlaubniß, das | |||||||
Ganze ist ja meine Arbeit, wie können Sie über den Druck derselben | |||||||
böse sein? Ich wußte wohl, daß Sie nach Iahren den dogmatischen | |||||||
Theil Ihres Systems und also auch eine Logik herausgeben würden, | |||||||
aber das war nach Iahren, ich machte einen vorläufigen Versuch, wie | |||||||
HE. Iakob dis bei der Log. u. Metaph., HE. Schmid bei der Moral | |||||||
u. HE. Hufeland beim Naturrecht gethan hatte, müßte ich nicht der | |||||||
albernste Mensch sein, wenn ich mir einbilden könnte, ich könnte Ihnen | |||||||
vorgreifen? - Daß ich auch nicht entfernt etwas Unrechts in der | |||||||
Herausgabe meines Lehrbuchs gesehen habe, erhellt daraus, daß ich | |||||||
mich als Verfasser genannt, ja es Ihnen sogar zugeeignet habe; konnte | |||||||
ich das, wenn ich die Herausgabe des Werks für unrecht hielt? | |||||||
Der einzige Fehler, den ich begangen habe, der mir aber warlich | |||||||
nicht zuzurechnen ist, besteht darin, daß ich Ihnen das Dedikationsexemplar | |||||||
so spät geschickt habe, daß Sie weit eher ein ander Exemplar | |||||||
in die Hände bekamen, aber ich erhielt das Dedikationsexemplar erst | |||||||
in der zweiten Meßwoche vom HE. la Garde, das Binden nahm auch | |||||||
Zeit weg, darüber kam HE. Nicolovius nach Berlin, und ich nutzte | |||||||
diese Gelegenheit es ihm mitzugeben. | |||||||
Dis die Erzählung des ganzen Vorfalls, und ich bin versichert, | |||||||
Sie werden überzeugt werden, daß auch kein Schein von Schuld für | |||||||
mich und HE. la Garde übrig bleibt. - Ich ersuche Sie daher, würdiger | |||||||
Mann, ich beschwöre Sie mir zu melden, wodurch Sie sich von | |||||||
mir beleidigt halten, damit ich mich rechtfertigen kann, denn ich will | |||||||
lieber alles in der Welt als ihre Achtung, die mir unschätzbar ist, | |||||||
verliehren. Wie konnten Sie auch nur einen Augenblik voraussetzen, | |||||||
daß ich, der ich Ihnen so sehr verbunden bin, die Absicht haben konnte, | |||||||
Sie auch [nur] durch die geringste Kleinigkeit kränken zu wollen. | |||||||
Ich muß Sie um so mehr um die Auflösung des Räthsels bitten, da | |||||||
mein ganzer Ruf davon abhängt, Sie sind aber zu gerecht, als da | |||||||
Sie wollen könnten, daß mir ohne Ver[theidigung] etwas zu Schulden | |||||||
käme. | |||||||
Ich habe vom HE. Kapellmeister Reichard schon seit einiger Zeit | |||||||
den Auftrag Ihnen ein Kästchen mit [Landkarten] zu schicken und ich | |||||||
habe immer auf Gelegenheit gehoft, da ich aber keine finden kann, so | |||||||
sehe ich mich genöthigt, sie Ihnen mit einem Frachtfuhrmann zu schicken, | |||||||
und ich denke, daß sie noch diese Woche abgehen werden. | |||||||
Ich bitte Sie nochmals inständigst, mir Ihre Gewogenheit nicht | |||||||
zu entziehen, Sie können gewiß versichert sein, daß es mir nie, auch | |||||||
nur entfernt in den Sinn gekommen ist, etwas zu thun, was Ihnen | |||||||
misfällig sein könnte. Ich werde gewiß so lange in einer ängstlichen | |||||||
Ungewisheit schweben, bis Sie mir gütigst antworten und mir sagen, | |||||||
daß Sie noch mein Freund sind. Ich bin mit aller Hochschätzung | |||||||
Ihr | |||||||
aufrichtigster Verehrer | |||||||
I. G. C. Kiesewetter. | |||||||
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