Kant: Briefwechsel, Brief 474, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. |
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Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. | |||||||
Berlin den 14ten. Iuni 1791. | |||||||
Theuerster HErr Professor, | |||||||
Ich mache mir selbst die bittersten Vorwürfe, daß ich in so langer | |||||||
Zeit nicht an Sie geschrieben habe, und dis um so mehr, da ich fürchten | |||||||
muß, daß Sie böse auf mich sind; aber ich tröste mich dadurch, da | |||||||
ich es von Ihrer Güte dreist erwarten kann, daß Sie mir vergeben | |||||||
werden, wenn ich Ihnen sage, daß mein Stillschweigen nicht aus Verminderung | |||||||
meiner Achtung und Liebe für Sie entsprungen ist. Es | |||||||
ist gewiß niemand in der Welt, der eine reinere und größere Liebe | |||||||
für Sie fühlt, wie ich, aber es ist gewiß auch niemand, der Ihnen so | |||||||
viel verdankt als ich Ihnen verdanke. | |||||||
Herr Nicolovius, der es gütigst übernommen hat, Ihnen diesen | |||||||
Brief zu überbringen, wird Ihnen zugleich ein Exemplar der reinen | |||||||
allgemeinen Logik überreichen, die in dieser Messe von mir erschienen | |||||||
ist, und die ich Ihnen zugeeignet habe. Erschrecken Sie nur nicht über | |||||||
die Stärke des Werks, Sie erhalten ein Exemplar auf starkem Pappier | |||||||
und das vergrößert das Volumen gewaltig. Ich habe aus der Logik | |||||||
alles fremdartige abzuscheiden gesucht und die Sätze derselben, wie ich | |||||||
wenigstens glaube, in eine strenge systematische Ordnung gebracht. | |||||||
Dadurch ist nun freilich die Wissenschaft selbst sehr zusammengeschrumpft, | |||||||
(denn das Compendium ist, wie Sie sehen werden, nur | |||||||
6 Bogen stark), aber ich glaube, daß nur allein durch eine solche | |||||||
Scheidung für die Wissenschaft selbst etwas gewonnen werden kann. | |||||||
Daß trotz aller angewandten Mühe noch immer vieles mangelhafte an | |||||||
diesem Werke sich finden muß, bin ich überzeugt, und ich ersuche Sie | |||||||
daher recht sehr, wenn es Ihnen die Zeit erlaubt, die Schrift durchzulesen | |||||||
und mir Ihre Bemerkungen gütigst darüber mitzutheilen. - Eine | |||||||
Sache hat mir viel Freude gemacht; HE. Prof. Cäsar in Leipzig, der | |||||||
dort die kritische Philosophie vorträgt, wird über mein Compendium | |||||||
Logik vortragen. | |||||||
In Ansehung meiner Lage ist keine Veränderung vorgegangen. | |||||||
Für den Sommer habe ich Moral und eine Einleitung in die Ästhetik | |||||||
angekündigt, ob eins von beiden Collegien zu Stande kommen wird, | |||||||
weiß ich noch nicht; auch werde ich nach Wöllners Willen, Logik unentgeldlich | |||||||
lesen. | |||||||
Daß ihre Moral diese Messe nicht erschienen ist, hat viel Aufsehen | |||||||
gemacht, weil man sie sicher erwartete. Man erzählte hier allgemein | |||||||
(die Sache ist freilich nur Erdichtung und kann nur Erdichtung | |||||||
sein), der neue O[ber] C[onsistorial] R[ath] Woltersdorf habe es beim | |||||||
Könige dahinzubringen gewußt, daß man Ihnen das fernere Schreiben | |||||||
untersagt habe, und ich bin selbst bei Hofe dieser Erzählung halber befragt | |||||||
worden. - Mit Wöllner habe ich neulich gesprochen, er machte mich durch | |||||||
Lobeserhebungen schamroth und stellte sich, als wäre er mir sehr gewogen, | |||||||
aber ich traue ihm gar nicht. Man ist jetzt beinahe überzeugt, | |||||||
daß er selbst als Instrument von andren gebraucht wird, die ihn | |||||||
zwingen, Dinge zu thun, die er sonst nicht thun würde. | |||||||
Dem Könige ist der Herr Iesus schon einigemal erschienen, und | |||||||
man sagt, er werde ihm in Potsdam eine eigene Kirche bauen laßen. | |||||||
Schwach ist er jetzt an Leib und Seele, er sitzt ganze Stunden und | |||||||
weint. Die Dehnhof ist in Ungnade gefallen und zu ihre Schwägerin | |||||||
gereist, allein der König hat schon wieder an sie geschrieben und sie | |||||||
wird wahrscheinlich bald zurückkommen. Die Rietz ist noch nicht ohne | |||||||
allen Einfluß. Bischofswerder, Wöllner und Rietz sind diejenigen, die | |||||||
den König tyrannisiren. Man erwartet ein neues Religionsedict und | |||||||
der Pöbel murrt, daß man ihn zwingen will in die Kirche und zum | |||||||
Abendmal zu gehen; er fühlt hierbei zum erstenmale, das es Dinge | |||||||
giebt, die kein Fürst gebieten kann, und man hat sich zu hüten, da | |||||||
der Funke nicht zündet. Die Soldaten sind ebenfalls sehr unzufrieden. | |||||||
Im vergangenen Iahr haben sie keine neue Kleidung erhalten, denn | |||||||
die Rietz erhielt das Geld um nach Pyrmont zu gehen; ferner erhielten | |||||||
sie vom verstorbenen Könige gleich nach jeder Revue 3 gl. als ein don | |||||||
gratuit, jetzt haben sie nur 8 Pfd. erhalten. | |||||||
Wir bauen hier Modelle zu schwimmenden Batterien, setzen alles | |||||||
in marschfertigen Stand, allein ganz sicher wird man auch dismal | |||||||
blos mit unserer Schatzkammer Krieg führen. Der türkische Gesandte, | |||||||
einer der unbedeutendsten Menschen, den ich je gesehen habe, ist immer | |||||||
noch hier, zu seiner und aller Eunuye. Man spricht viel von einer | |||||||
Vermählung des Herzogs von York mit der Prinzessin Friederike, | |||||||
allein die Nebenumstände, die man miterzählt, machen die Sache unwahrscheinlich; | |||||||
man sagt nämlich, der König wolle 2 Millionen zur | |||||||
Tilgung seiner Schulden geben, und ihr überdis jährlich 100000 rthlr. | |||||||
auszahlen laßen, da doch nach den Gesetzen jede Prinzessin nur | |||||||
100,000 rthlr. überhaupt zur Mitgift erhält. | |||||||
Aber was habe ich Ihnen doch alles vorgeschwatzt, Dinge, die Sie | |||||||
entweder zu wissen nicht begierig sind, oder die Sie schon wissen; aber | |||||||
nur die Muthmaßung, daß Sie dis interessiren könnte, hat mich vermocht, | |||||||
Ihnen dis zu schreiben. | |||||||
Litterärische Neuigkeiten weiß ich nicht, wenigstens keine solche, | |||||||
die Ihnen nicht durch die gelehrten Zeitungen bekannt sein sollten. | |||||||
Snell hat eine Erläuterung Ihrer Critik der ästhetischen Urteilskraft | |||||||
geliefert, die meines Erachtens vortreflich ist. Spatzier hat einen | |||||||
Auszug aus der Critik der teleologischen Urtheilskraft geliefert, die aber | |||||||
bei weitem nicht so gut gerathen ist. | |||||||
Und nun, theuerster HE. Professor leben Sie recht wohl und | |||||||
glücklich. Unendlich würde ich mich freuen, wenn Sie mir Nachricht | |||||||
von Ihrem Befinden ertheilten. HE. Doktor Iachmann und seinem | |||||||
Bruder machen Sie recht viel Empfehlungen von mir. - Ich umarme | |||||||
Sie in Gedanken und bin | |||||||
Ihr | |||||||
Sie innigliebender Freund und Diener | |||||||
I G C Kiesewetter. | |||||||
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