Kant: Briefwechsel, Brief 473, Von Iacob Sigismund Beck. |
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Von Iacob Sigismund Beck. | |||||||
1. Iuni 1791. | |||||||
Mein Theuerster Lehrer! | |||||||
Die freundschaftlichen Gesinnungen die Sie in Ihrem Briefe | |||||||
gegen mich äussern, stärken mein Gemüth, das leider! manchmahl | |||||||
wegen Zweifel an eignen Kräften und Tauglichkeit niedergeschlagen ist. | |||||||
Ich danke Ihnen herzlich dafür und auch für die Erlaubniß wieder | |||||||
an Sie schreiben zu dürfen. Beym Herrn Geheimen Rath v. Hofmann | |||||||
bin ich gewesen und habe ihm für seine Geneigtheit gegen mich die er | |||||||
in seinem Briefe an Sie hat blicken lassen, gedankt. Er begegnete | |||||||
mir sehr gütig und ich kann wohl glauben, daß er mir nützen werde, | |||||||
wenn er Gelegenheit dazu haben wird. Sonst genüsse ich hier wirklich | |||||||
einen Vortheil und zwar durch die Fürsorge des Herrn Professor | |||||||
Iakob, der sobald ich nach Halle kam, mich dem Schulkollegium des | |||||||
hiesigen Gymnasiums so sehr dringend empfahl, daß es mich bey diesem | |||||||
Gymnasium, bey dem er selbst so lange Schulkollege gewesen, zum | |||||||
Collaborator wählte. Dieser Vortheil beträgt etwa 90 oder 100 Thlr | |||||||
und ist überdem mit der ziemlich sichern Hofnung verknüpft SchulKollege | |||||||
zu werden wenn eine Vakanz vorfällt. Herr Pr. Iakob ist jetzt von | |||||||
der Schule abgegangen; allein ein anderer als ich, der ein älteres | |||||||
Recht dazu hatte, ist an seiner Stelle Lehrer geworden. Seit vorigen | |||||||
Montag sind hier die Collegia angegangen. Ich lese die reine Mathematick | |||||||
nach Klügels Lehrbuch und habe etwa 8 Zuhörer, die aber | |||||||
wahrscheinlich mir nichts bezahlen werden. Auch habe ich heute ein | |||||||
Publicum zu lesen angefangen, nehmlich die mathematische Geographie, | |||||||
worin freylich eine ganze Menge Studenten waren, die sich aber, weil | |||||||
es Vorkenntnisse verlangt, wahrscheinlich bis auf wenige verliehren | |||||||
werden. Zur philosophischen Vorlesung hat sich niemand bey mir gemeldet. | |||||||
Ich bin dieses schlechten Anfangs wegen aber gar nicht muthloß. | |||||||
Denn ich meyne es ehrlich und glaube daß man die Absicht zu | |||||||
nutzen mir anmerken werde. Schelten Sie aber doch nicht, daß ich | |||||||
Sie von meinen Umständen so lange unterhalte. | |||||||
Auch von literairischen Dingen haben Sie mir erlaubt Ihnen zu | |||||||
schreiben. Verehrungswürdiger Mann! Sie lieben die Sprache der | |||||||
Aufrichtigkeit, und verstatten es mir Ihnen herzlich zu beichten, was | |||||||
mir auf dem Herzen liegt. Die Kritick habe ich gefaßt. Es war | |||||||
mir Herzenssache sie zu studiren, und nicht Sache des Eigennutzes. | |||||||
Ich habe Ihre Philosophie lieb gewonnen, weil sie mich überzeugt. | |||||||
Aber unter den lauten Freunden derselben, kenne ich keinen einzigen, | |||||||
der mir gefällt. So viel ich spühren kann, ist es eitel Gewinnsucht, | |||||||
welche die Leute belebt, und das ist unmoralisch und schmeckt wahrlich | |||||||
nicht nach Ihrer practischen Philosophie. Herr Professor Reinhold | |||||||
will durchaus alle Aufmerksamkeit an sich ziehen. Aber so viel ich | |||||||
auch aufgemerkt habe, so verstehe ich doch kein Wort und sehe nichts | |||||||
ein von seiner Theorie des Vorstellungsvermögens. Dem Professor | |||||||
Iakob bin ich gut, bis auf seine Büchermacherey. Er ist wirklich ein | |||||||
Mann von guter Denkungsart. Aber er hat kritische Versuche seinem | |||||||
Hume angehängt, welche ein schlechtes Contrefait dazu sind. Er will | |||||||
hin und wieder Mathematicker darin scheinen, und da er es doch nicht | |||||||
ist, so begeht er ausserordentliche Absurditäten. Im verlaufenen Winter | |||||||
halben Iahre hat er die Logick und Metaphysick, eine empirische Psychologie | |||||||
und einen moralischen Beweiß des Daseyns Gottes geschrieben. | |||||||
Auf die Art verdirbt man viel. Denn statt dem Publicum bey einer | |||||||
der Menschheit interessanten Angelegenheit behülflich zu seyn, bringt | |||||||
man dem denkenden Theil desselben Verdacht gegen die gute Sache bey. | |||||||
Sonst ist Iakob gewiß ein guter Mann, den ich aber noch weit mehr | |||||||
lieben würde, wenn Philosophie ihm mehr Herzenssache als Vortheilssache | |||||||
wäre. Ich halte mich lediglich an die Kritick und lese nichts | |||||||
mehr was von Gegnern oder Freunden derselben geschrieben ist. | |||||||
Herr Kiesewetter hat an Iakob geschrieben, daß die Ostermesse | |||||||
Ihre Moral herauskommen würde. Auf diese bin ich begierig. Denn | |||||||
es schweben mir in diesem Felde noch manche Dunkelheiten vor, die | |||||||
eine Moral von Ihnen aufhellen wird. | |||||||
Daß Herr Prof. Iakob jetzt hier Professor ordinarius geworden, | |||||||
werden Sie aus seinem Briefe an Sie wahrscheinlich schon erfahren | |||||||
haben. Die Giessener haben dem Magister Schmidt die Vocation angetragen. | |||||||
Er hat sie aber wie mir Iakob sagt, ausgeschlagen, weil | |||||||
er in Iena eine Predigerstelle und sonst gute Aussichten hat. | |||||||
Sie verlangten daß ich unfrankirt an Sie schreiben sollte. Dann | |||||||
aber nehmen Sie es mir auch wohl nicht übel, daß ich einen Brief | |||||||
an Herrn Pr. Kraus einlege. | |||||||
Herr Professor Klügel empfiehlt sich Ihnen. Er sagt, die Ursache | |||||||
warum Sie von Freunden und Gegnern nicht verstanden werden, ist | |||||||
weil diese nicht Mathematicker sind. | |||||||
Ich bin mit der lautersten Hochachtung | |||||||
Halle | der Ihrige | ||||||
den 1 ten Iuny 1791. | Beck. | ||||||
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