Kant: AA XVIII, Metaphysik Zweiter Theil , Seite 448

     
           
 

Zeile:

 

Text:

 

 

 

 
  01 zu beziehen, daraus lauter Streit und Gewaltthätigkeit entspringt.      
  02 Sie solten aus ihrer eignen Species einen Herrn oder wenigstens      
  03 eine Oberherrschaft nöthig haben und viele ausser einander. Den allgemeinen      
  04 Frieden solten sie erfinden.      
           
  05 Die Rolle eines Menschen ist vielleicht unter allen dieses Planeten      
  06 Systems die künstlichste, die beschwerlichste, aber auch im Ausgange die      
  07 herrlichste. Glückseeligkeit haben wir hier auch, aber freylich nach unserm      
  08 Begriffe von Glückseeligkeit nicht in abstracto, sondern in concreto; denn      
  09 wir können uns keine ausdenken, ohne in der Bestrebung, sich durch Hindernisse      
  10 durchzuwikeln, in der Arbeit Gefahren, mit einem Wort: in der Belohnung      
  11 unserer Kraft, sie aus dem Übel herauszubringen.      
           
   

 

6092.   ψ2.   M 371'.   Zu M § 904ff.:
 
     
  13 Wir sprechen von Glükseeligkeit als Zufriedenheit, aber wir als von      
  14 einer Idee, die wir in abstracto haben, deren realitet wir aber durch keine      
  15 Bestimung in concreto, selbst nicht einmal in der Erdichtung, darlegen      
  16 können. Soll es eine Vollstandige Befriedigung aller Begierden seyn:      
  17 wozu denn begehren, d.i. ermangeln, um es zu erwerben? Denn dieses      
  18 bedeutet doch, daß man vorher nicht glüklich gewesen. (Uberdem so vermehrt      
  19 die Befriedigung der Begierde die Sehnsucht nach mehrerem und      
  20 macht die Zufriedenheit dadurch ganzlich unmoglich.) Sollen wir dagegen      
  21 im Besitz des wohlbefindens seyn, ohne etwas zu begehren, so scheint      
  22 dieser Zustand das Wesen ganz unnütz zu machen, weil keine Thatigkeit      
  23 dabey ist; überdem ist die Beharrlichkeit in demselben Zustande bey einem      
  24 Wesen, was sein Daseyn durch die Zeit schleppt, nur und dennoch mit      
  25 Volliger Zufriedenheit unmoglich, weil ein theil seines Daseyns ihm      
  26 immer bevorsteht, in Ansehung dessen er etwas verschiedenes vom Vorigen      
  27 Zustande erwartet.      
           
  28 Die Religion kann nur moralisch seyn, so fern wir Gott in einer dreyfachen      
  29 Person verehren. So Als gesetzgeber kan er nicht gütig seyn, d.i.      
  30 sein Gesetz kan nicht der absicht auf das Wohl der creatur untergeordnet      
  31 oder damit vermischt seyn. Es ist auf Freyheit und nicht auf Glükseeligkeit      
  32 gerichtet: daß die Geschopfe der Glükseeligkeit würdig, nicht daß sie      
     

[ Seite 447 ] [ Seite 449 ] [ Inhaltsverzeichnis ]