Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 367 |
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| 01 | nicht beweisen können, so konnte der Bewegungsgrund, sich mit ihnen abzugeben, | ||||||
| 02 | nur in der Vermuthung liegen, daß der Verfasser zur Beglaubigung | ||||||
| 03 | derselben sich vielleicht auf Vorfälle von der oben erwähnten Art, | ||||||
| 04 | die durch lebende Zeugen bestätigt werden könnten, berufen würde. Dergleichen | ||||||
| 05 | aber findet man nirgend. Und so ziehen wir uns mit einiger Beschämung | ||||||
| 06 | von einem thörichten Versuche zurück mit der vernünftigen, obgleich | ||||||
| 07 | etwas späten Anmerkung: daß das Klugdenken mehrentheils eine | ||||||
| 08 | leichte Sache sei, aber leider nur, nachdem man sich eine Zeit lang hat | ||||||
| 09 | hintergehen lassen. | ||||||
| 10 | Ich habe einen undankbaren Stoff bearbeitet, den mir die Nachfrage | ||||||
| 11 | und Zudringlichkeit vorwitziger und müßiger Freunde unterlegte. Indem | ||||||
| 12 | ich diesem Leichtsinn meine Bemühung unterwarf, so habe ich zugleich | ||||||
| 13 | dessen Erwartung betrogen und weder dem Neugierigen durch Nachrichten, | ||||||
| 14 | noch dem Forschenden durch Vernunftgründe etwas zur Befriedigung | ||||||
| 15 | ausgerichtet. Wenn keine andre Absicht diese Arbeit beseelte, so habe ich | ||||||
| 16 | meine Zeit verloren; ich habe das Zutrauen des Lesers verloren, dessen | ||||||
| 17 | Erkundigung und Wißbegierde ich durch einen langweiligen Umweg zu | ||||||
| 18 | demselben Punkte der Unwissenheit geführt habe, aus welchem er herausgegangen | ||||||
| 19 | war. Allein ich hatte in der That einen Zweck vor Augen, der | ||||||
| 20 | mir wichtiger scheint als der, welchen ich vorgab, und diesen meine ich erreicht | ||||||
| 21 | zu haben. Die Metaphysik, in welche ich das Schicksal habe verliebt | ||||||
| 22 | zu sein, ob ich mich gleich von ihr nur selten einiger Gunstbezeugungen | ||||||
| 23 | rühmen kann, leistet zweierlei Vortheile. Der erste ist, den Aufgaben ein | ||||||
| 24 | Gnüge zu thun, die das forschende Gemüth aufwirft, wenn es verborgenern | ||||||
| 25 | Eigenschaften der Dinge durch Vernunft nachspäht. Aber hier täuscht | ||||||
| 26 | der Ausgang nur gar zu oft die Hoffnung und ist diesmal auch unsern | ||||||
| 27 | begierigen Händen entgangen. | ||||||
| 28 | Ter frustra comprensa manus effugit imago | ||||||
| 29 | par levibus ventis volucrique simillima somno. | ||||||
| 30 | VIRg. | ||||||
| 31 | Der andre Vortheil ist der Natur des menschlichen Verstandes mehr | ||||||
| 32 | angemessen und besteht darin: einzusehen, ob die Aufgabe aus demjenigen, | ||||||
| 33 | was man wissen kann, auch bestimmt sei und welches Verhältniß die | ||||||
| 34 | Frage zu den Erfahrungsbegriffen habe, darauf sich alle unsre Urtheile | ||||||
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