Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 354 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | von dieser Art wohl jederzeit nur heimliche Gläubige haben, | ||||||
02 | öffentlich aber durch die herrschende Mode des Unglaubens verworfen | ||||||
03 | werden. | ||||||
04 | Da mir indessen diese ganze Frage weder wichtig noch vorbereitet | ||||||
05 | gnug scheint, um über dieselbe etwas zu entscheiden, so trage ich kein Bedenken | ||||||
06 | hier eine Nachricht der erwähnten Art anzuführen und sie mit | ||||||
07 | völliger Gleichgültigkeit dem geneigten oder ungeneigten Urtheile der | ||||||
08 | Leser preis zu geben. | ||||||
09 | Es lebt zu Stockholm ein gewisser Herr Schwedenberg ohne Amt | ||||||
10 | oder Bedienung von seinem ziemlich ansehnlichen Vermögen. Seine ganze | ||||||
11 | Beschäftigung besteht darin, daß er, wie er selbst sagt, schon seit mehr als | ||||||
12 | zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten | ||||||
13 | Umgange steht, von ihnen Nachrichten aus der andern Welt einholt und | ||||||
14 | ihnen dagegen welche aus der gegenwärtigen ertheilt, große Bände über | ||||||
15 | seine Entdeckungen abfaßt und bisweilen nach London reiset, um die Ausgabe | ||||||
16 | derselben zu besorgen. Er ist eben nicht zurückhaltend mit seinen Geheimnissen, | ||||||
17 | spricht mit jedermann frei davon, scheint vollkommen von dem, | ||||||
18 | was er vorgiebt, überredet zu sein ohne einigen Anschein eines angelegten | ||||||
19 | Betruges oder Charlatanerei. So wie er, wenn man ihm selbst glauben | ||||||
20 | darf, der Erzgeisterseher unter allen Geistersehern ist, so ist er auch sicherlich | ||||||
21 | der Erzphantast unter allen Phantasten, man mag ihn nun aus der | ||||||
22 | Beschreibung derer, welche ihn kennen, oder aus seinen Schriften beurtheilen. | ||||||
23 | Doch kann dieser Umstand diejenige, welche den Geistereinflüssen | ||||||
24 | sonst günstig sind, nicht abhalten, hinter solcher Phantasterei noch etwas | ||||||
25 | Wahres zu vermuthen. Weil indessen das Creditiv aller Bevollmächtigten | ||||||
26 | aus der andern Welt in den Beweisthümern besteht, die sie durch gewisse | ||||||
27 | Proben in der gegenwärtigen von ihrem außerordentlichen Beruf ablegen, | ||||||
28 | so muß ich von demjenigen, was zur Beglaubigung der außerordentlichen | ||||||
29 | Eigenschaft des gedachten Mannes herumgetragen wird, wenigstens dasjenige | ||||||
30 | anführen, was noch bei den meisten einigen Glauben findet. | ||||||
31 | Gegen das Ende des Jahres 1761 wurde Herr Schwedenberg zu | ||||||
32 | einer Fürstin gerufen, deren großer Verstand und Einsicht es beinahe unmöglich | ||||||
33 | machen sollte in dergleichen Fällen hintergangen zu werden. Die | ||||||
34 | Veranlassung dazu gab das allgemeine Gerücht von den vorgegebenen | ||||||
35 | Visionen dieses Mannes. Nach einigen Fragen, die mehr darauf abzielten | ||||||
36 | sich mit seinen Einbildungen zu belustigen, als wirkliche Nachrichten | ||||||
37 | aus der andern Welt zu vernehmen, verabschiedete ihn die Fürstin, indem | ||||||
[ Seite 353 ] [ Seite 355 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |