Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 350 |
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01 | die ich nicht wohl heben kann, und die ich in der That auch niemals | ||||||
02 | heben will. Nun gestehe ich, daß alle Erzählungen vom Erscheinen abgeschiedener | ||||||
03 | Seelen oder von Geistereinflüssen und alle Theorien von der | ||||||
04 | muthmaßlichen Natur geistiger Wesen und ihrer Verknüpfung mit uns | ||||||
05 | nur in der Schale der Hoffnung merklich wiegen; dagegen in der der Speculation | ||||||
06 | aus lauter Luft zu bestehen scheinen. Wenn die Ausmittelung | ||||||
07 | der aufgegebenen Frage nicht mit einer vorher schon entschiedenen Neigung | ||||||
08 | in Sympathie stände, welcher Vernünftige würde wohl unschlüssig | ||||||
09 | sein, ob er mehr Möglichkeit darin finden sollte, eine Art Wesen anzunehmen, | ||||||
10 | die mit allem, was ihm die Sinne lehren, gar nichts Ähnliches | ||||||
11 | haben, als einige angebliche Erfahrungen dem Selbstbetruge und der Erdichtung | ||||||
12 | beizumessen, die in mehreren Fällen nicht ungewöhnlich sind. | ||||||
13 | Ja dieses scheint auch überhaupt von der Beglaubigung der Geistererzählungen, | ||||||
14 | welche so allgemeinen Eingang finden, die vornehmste Ursache | ||||||
15 | zu sein, und selbst die erste Täuschungen von vermeinten Erscheinungen | ||||||
16 | abgeschiedener Menschen sind vermuthlich aus der schmeichelhaften Hoffnung | ||||||
17 | entsprungen, daß man noch auf irgend eine Art nach dem Tode übrig | ||||||
18 | sei, da denn bei nächtlichen Schatten oftmals der Wahn die Sinne betrog | ||||||
19 | und aus zweideutigen Gestalten Blendwerke schuf, die der vorhergehenden | ||||||
20 | Meinung gemäß waren, woraus denn endlich die Philosophen Anla | ||||||
21 | nahmen die Vernunftidee von Geistern auszudenken und sie in Lehrverfassung | ||||||
22 | zu bringen. Man sieht es auch wohl meinem anmaßlichen Lehrbegriff | ||||||
23 | von der Geistergemeinschaft an, daß er eben dieselbe Richtung | ||||||
24 | nehme, in den die gemeine Neigung einschlägt. Denn die Sätze vereinbaren | ||||||
25 | sich sehr merklich nur dahin, um einen Begriff zu geben, wie der | ||||||
26 | Geist des Menschen aus dieser Welt herausgehe,*) d. i. vom Zustande | ||||||
27 | nach dem Tode; wie er aber hineinkomme, d. i. von der Zeugung und | ||||||
28 | Fortpflanzung, davon erwähne ich nichts; ja sogar nicht einmal, wie er | ||||||
29 | in dieser Welt gegenwärtig sei, d. i. wie eine immaterielle Natur in | ||||||
*) Das Sinnbild der alten Ägypter für die Seele war ein Papillon, und die griechische Benennung bedeutete eben dasselbe. Man sieht leicht, daß die Hoffnung, welche aus dem Tode nur eine Verwandlung macht, eine solche Idee sammt ihren Zeichen veranlaßt habe. Indessen hebt dieses keinesweges das Zutrauen zu der Richtigkeit der hieraus entsprungenen Begriffe. Unsere innere Empfindung und die darauf gegründete Urtheile des Vernunftähnlichen führen, so lange sie unverderbt sind, eben dahin, wo die Vernunft hin leiten würde, wenn sie erleuchteter und ausgebreiteter wäre. | |||||||
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