Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 328 |
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01 | welches sie auf keine Weise hindert, sich in demselben Raume, darin es | ||||||
02 | gegenwärtig ist, zugleich zu befinden? Es scheint, ein geistiges Wesen sei | ||||||
03 | der Materie innigst gegenwärtig, mit der es verbunden ist, und wirke nicht | ||||||
04 | auf diejenige Kräfte der Elemente, womit diese untereinander in Verhältnissen | ||||||
05 | sind, sondern auf das innere Principium ihres Zustandes. Denn | ||||||
06 | eine jede Substanz, selbst ein einfaches Element der Materie muß doch | ||||||
07 | irgend eine innere Thätigkeit als den Grund der äußerlichen Wirksamkeit | ||||||
08 | haben, wenn ich gleich nicht anzugeben weiß, worin solche bestehe.*) Andererseits | ||||||
09 | würde bei solchen Grundsätzen die Seele auch in diesen inneren | ||||||
10 | Bestimmungen als Wirkungen den Zustand des Universum anschauend | ||||||
11 | erkennen, der die Ursache derselben ist. Welche Nothwendigkeit aber verursache, | ||||||
12 | daß ein Geist und ein Körper zusammen Eines ausmache, und | ||||||
13 | welche Gründe bei gewissen Zerstörungen diese Einheit wiederum aufheben, | ||||||
14 | diese Fragen übersteigen nebst verschiedenen andern sehr weit meine | ||||||
15 | Einsicht, und wie wenig ich auch sonst dreiste bin, meine Verstandesfähigkeit | ||||||
16 | an den Geheimnissen der Natur zu messen, so bin ich gleichwohl zuversichtlich | ||||||
17 | gnug, keinen noch so fürchterlich ausgerüsteten Gegner zu | ||||||
18 | scheuen (wenn ich sonst einige Neigung zum Streiten hätte), um in diesem | ||||||
19 | Falle mit ihm den Versuch der Gegengründe im Widerlegen zu machen, | ||||||
20 | der bei den Gelehrten eigentlich die Geschicklichkeit ist, einander das Nichtwissen | ||||||
21 | zu demonstriren. | ||||||
*) Leibniz sagte, dieser innere Grund aller seiner äußeren Verhältnisse und ihrer Veränderungen sei eine Vorstellungskraft, und spätere Philosophen empfingen diesen unausgeführten Gedanken mit Gelächter. Sie hätten aber nicht übel gethan, wenn sie vorher bei sich überlegt hätten, ob denn eine Substanz, wie ein einfacher Theil der Materie ist, ohne allen inneren Zustand möglich sei, und wenn sie dann diesen etwa nicht ausschließen wollten, so würde ihnen obgelegen haben irgend einen andern möglichen innern Zustand zu ersinnen, als den der Vorstellungen und der Thätigkeiten, die von ihnen abhängend sind. Jedermann sieht von selber, daß, wenn man auch den einfachen Elementartheilen der Materie ein Vermögen dunkler Vorstellungen zugesteht, daraus noch keine Vorstellungskraft der Materie selbst erfolge, weil viel Substanzen von solcher Art, in einem Ganzen verbunden, doch niemals eine denkende Einheit ausmachen können. | |||||||
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