Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 329 |
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| 01 | Zweites Hauptstück. |
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| 02 | Ein Fragment der geheimen Philosophie, die Gemeinschaft |
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| 03 | mit der Geisterwelt zu eröffnen. |
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| 04 | Der Initiat hat schon den groben und an den äußerlichen Sinnen | ||||||
| 05 | klebenden Verstand zu höhern und abgezogenen Begriffen gewöhnt, und | ||||||
| 06 | nun kann er geistige und von körperlichem Zeuge enthüllte Gestalten in | ||||||
| 07 | derjenigen Dämmerung sehen, womit das schwache Licht der Metaphysik | ||||||
| 08 | das Reich der Schatten sichtbar macht. Wir wollen daher nach der beschwerlichen | ||||||
| 09 | Vorbereitung, welche überstanden ist, uns auf den gefährlichen | ||||||
| 10 | Weg wagen. | ||||||
| 11 | Ibant obscuri sola sub nocte per umbras, | ||||||
| 12 | Perque domos Ditis vacuas et inania regna. | ||||||
| 13 | VIRGILIUS. | ||||||
| 14 | Die todte Materie, welche den Weltraum erfüllt, ist ihrer eigenthümlichen | ||||||
| 15 | Natur nach im Stande der Trägheit und der Beharrlichkeit in einerlei | ||||||
| 16 | Zustande, sie hat Solidität, Ausdehnung und Figur, und ihre Erscheinungen, | ||||||
| 17 | die auf allen diesen Gründen beruhen, lassen eine physische Erklärung | ||||||
| 18 | zu, die zugleich mathematisch ist, und zusammen mechanisch genannt | ||||||
| 19 | wird. Wenn man andererseits seine Achtsamkeit auf diejenige Art | ||||||
| 20 | Wesen richtet, welche den Grad des Lebens in dem Weltganzen enthalten, | ||||||
| 21 | die um deswillen nicht von der Art sind, daß sie als Bestandtheile | ||||||
| 22 | den Klumpen und die Ausdehnung der leblosen Materie vermehren, noch | ||||||
| 23 | von ihr nach den Gesetzen der Berührung und des Stoßes leiden, sondern | ||||||
| 24 | vielmehr durch innere Thätigkeit sich selbst und überdem den todten Stoff | ||||||
| 25 | der Natur rege machen, so wird man, wo nicht mit der Deutlichkeit einer | ||||||
| 26 | Demonstration, doch wenigstens mit der Vorempfindung eines nicht ungeübten | ||||||
| 27 | Verstandes sich von dem Dasein immaterieller Wesen überredet | ||||||
| 28 | finden, deren besondere Wirkungsgesetze pneumatisch und, so fern die | ||||||
| 29 | körperliche Wesen Mittelursachen ihrer Wirkungen in der materiellen | ||||||
| 30 | Welt sind, organisch genannt werden. Da diese immaterielle Wesen | ||||||
| 31 | selbstthätige Principien sind, mithin Substanzen und für sich bestehende | ||||||
| 32 | Naturen, so ist diejenige Folge, auf die man zunächst geräth, diese: daß | ||||||
| 33 | sie untereinander, unmittelbar vereinigt, vielleicht ein großes Ganze ausmachen | ||||||
| 34 | mögen, welches man die immaterielle Welt ( mundus intelligibilis ) | ||||||
| 35 | nennen kann. Denn mit welchem Grunde der Wahrscheinlichkeit wollte | ||||||
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