Kant: AA II, Versuch über die Krankheiten ... , Seite 261

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Schwäche der Urtheilskraft überhaupt zu suchen, so heißt ein solcher      
  02 Mensch ein Tropf, Einfaltspinsel etc. Da die Ränke und falsche      
  03 Kunstgriffe in der bürgerlichen Gesellschaft allmählich zu gewöhnlichen      
  04 Maximen werden und das Spiel der menschlichen Handlungen sehr verwickeln,      
  05 so ist es kein Wunder, wenn ein sonst verständiger und redlicher      
  06 Mann, dem entweder alle diese Schlauigkeit zu verächtlich ist, als daß er      
  07 sich damit beschäftige, oder der sein ehrliches und wohlwollendes Herz nicht      
  08 dazu bewegen kann, sich von der menschlichen Natur einen so verhaßten      
  09 Begriff zu machen, unter Betrügern allerwärts in Schlingen gerathen      
  10 und ihnen viel zu lachen geben müsse, so daß zuletzt der Ausdruck: ein      
  11 guter Mann, nicht mehr auf eine verblümte Art, sondern so gerade zu      
  12 einen Einfaltspinsel, gelegentlich auch einen H - - bedeute; denn in      
  13 der Schelmensprache ist niemand ein verständiger Mann, als der alle      
  14 andere für nichts Bessers hält, als was er selbst ist, nämlich für Betrüger.      
           
  15 Die Triebe der menschlichen Natur, welche, wenn sie von viel Graden      
  16 sind, Leidenschaften heißen, sind die Bewegkräfte des Willens; der Verstand      
  17 kommt nur dazu, sowohl das ganze Facit der Befriedigung aller      
  18 Neigungen insgesammt aus dem vorgestellten Zwecke zu schätzen, als auch      
  19 die Mittel zu diesem auszufinden. Ist etwa eine Leidenschaft besonders      
  20 mächtig, so hilft die Verstandesfähigkeit dagegen nur wenig; denn der bezauberte      
  21 Mensch sieht zwar die Gründe wider seine Lieblingsneigung sehr      
  22 gut, allein er fühlt sich ohnmächtig ihnen den thätigen Nachdruck zu geben.      
  23 Wenn diese Neigung an sich gut ist, wenn die Person übrigens vernünftig      
  24 ist, nur daß der überwiegende Hang die Aussicht in Ansehung der      
  25 schlimmen Folgen verschließt, so ist dieser Zustand der gefesselten Vernunft      
  26 Thorheit. Ein Thor kann viel Verstand haben selbst in dem Urtheil      
  27 über diejenige Handlungen, darin er thöricht ist, er muß sogar ziemlich      
  28 viel Verstand und ein gut Herz besitzen, damit er zu dieser gemilderten      
  29 Benennung seiner Ausschweifungen berechtigt sei. Der Thor kann allenfalls      
  30 einen vortrefflichen Rathgeber für andere abgeben, wenn gleich sein      
  31 Rath bei ihm selbst ohne Wirkung ist. Er wird nur durch Schaden oder      
  32 durch Alter gescheut, welches aber öfters nur eine Thorheit verdränget, um      
  33 einer andern Platz zu machen. Die verliebte Leidenschaft, oder ein großer      
  34 Grad der Ehrbegierde haben von je her viele vernünftige Leute zu Thoren      
  35 gemacht. Ein Mädchen nöthigt den furchtbaren Alcides den Faden am      
  36 Rocken zu ziehen, und Athens müßige Bürger schicken durch ihr läppisches      
  37 Lob den Alexander an das Ende der Welt. Es giebt auch Neigungen      
           
     

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