Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 235

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Die edle Eigenschaften dieses Geschlechts, welche jedoch, wie wir schon      
  02 angemerkt haben, niemals das Gefühl des Schönen unkenntlich machen      
  03 müssen, kündigen sich durch nichts deutlicher und sicherer an als durch die      
  04 Bescheidenheit einer Art von edler Einfalt und Naivetät bei großen      
  05 Vorzügen. Aus derselben leuchtet eine ruhige Wohlgewogenheit und Achtung      
  06 gegen andere hervor, zugleich mit einem gewissen edlen Zutrauen      
  07 auf sich selbst und einer billigen Selbstschätzung verbunden, welche bei      
  08 einer erhabenen Gemüthsart jederzeit anzutreffen ist. Indem diese feine      
  09 Mischung zugleich durch Reize einnimmt und durch Achtung rührt, so      
  10 stellt sie alle übrige schimmernde Eigenschaften wider den Muthwillen des      
  11 Tadels und der Spottsucht in Sicherheit. Personen von dieser Gemüthsart      
  12 haben auch ein Herz zur Freundschaft, welches an einem Frauenzimmer      
  13 niemals kann hoch genug geschätzt werden, weil es so gar selten ist und      
  14 zugleich so überaus reizend sein muß.      
           
  15 Da unsere Absicht ist über Empfindungen zu urtheilen, so kann es      
  16 nicht unangenehm sein die Verschiedenheit des Eindrucks, den die Gestalt      
  17 und Gesichtszüge des schönen Geschlechts auf das männliche machen, wo      
  18 möglich unter Begriffe zu bringen. Diese ganze Bezauberung ist im      
  19 Grunde über den Geschlechtertrieb verbreitet. Die Natur verfolgt ihre      
  20 große Absicht, und alle Feinigkeiten, die sich hinzugesellen, sie mögen nun      
  21 so weit davon abzustehen scheinen, wie sie wollen, sind nur Verbrämungen      
  22 und entlehnen ihren Reiz doch am Ende aus eben derselben Quelle. Ein      
  23 gesunder und derber Geschmack, der sich jederzeit sehr nahe bei diesem      
  24 Triebe hält, wird durch die Reize des Anstandes, der Gesichtszüge, der      
  25 Augen etc. etc. an einem Frauenzimmer wenig angefochten, und indem er      
  26 eigentlich nur aufs Geschlecht geht, so sieht er mehrentheils die Delicatesse      
  27 anderer als leere Tändelei an.      
           
  28 Wenn dieser Geschmack gleich nicht fein ist, so ist er deswegen doch      
  29 nicht zu verachten. Denn der größte Theil der Menschen befolgt vermittelst      
  30 desselben die große Ordnung der Natur auf eine sehr einfältige und      
  31 sichere Art.*) Dadurch werden die meisten Ehen bewirkt und zwar von      
  32 dem emsigsten Theile des menschlichen Geschlechts, und indem der Mann      
           
    *) Wie alle Dinge in der Welt auch ihre schlimme Seite haben, so ist bei diesem Geschmacke nur zu bedauren, daß er leichter wie ein anderer in Lüderlichkeit ausartet. Denn weil das Feuer, das eine Person entzündet hat, eine jede andre wieder löschen kann, so sind nicht genug Schwierigkeiten da, die eine unbändige Neigung einschränken könnten.      
           
     

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