Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 234

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Um von diesem Ekelhaften sich so weit als möglich zu entfernen, gehört      
  02 die Reinlichkeit, die zwar einem jeden Menschen wohl ansteht, bei      
  03 dem schönen Geschlechte unter die Tugenden von ersten Range und kann      
  04 schwerlich von demselben zu hoch getrieben werden, da sie gleichwohl an      
  05 einem Manne bisweilen zum Übermaße steigt und alsdann läppisch wird.      
           
  06 Die Schamhaftigkeit ist ein Geheimniß der Natur sowohl einer      
  07 Neigung Schranken zu setzen, die sehr unbändig ist und, indem sie den      
  08 Ruf der Natur für sich hat, sich immer mit guten, sittlichen Eigenschaften      
  09 zu vertragen scheint, wenn sie gleich ausschweift. Sie ist demnach als ein      
  10 Supplement der Grundsätze höchst nöthig; denn es giebt keinen Fall, da      
  11 die Neigung so leicht zum Sophisten wird, gefällige Grundsätze zu erklügeln,      
  12 als hier. Sie dient aber auch zugleich, um einen geheimnißvollen      
  13 Vorhang selbst vor die geziemendsten und nöthigsten Zwecke der Natur      
  14 zu ziehen, damit die gar zu gemeine Bekanntschaft mit denselben nicht      
  15 Ekel oder zum mindesten Gleichgültigkeit veranlasse in Ansehung der Endabsichten      
  16 eines Triebes, worauf die feinsten und lebhaftesten Neigungen      
  17 der menschlichen Natur gepfropft sind. Diese Eigenschaft ist dem schönen      
  18 Geschlecht vorzüglich eigen und ihm sehr anständig. Es ist auch eine      
  19 plumpe und verächtliche Ungezogenheit, durch die Art pöbelhafter Scherze,      
  20 welche man Zoten nennt, die zärtliche Sittsamkeit desselben in Verlegenheit      
  21 oder Unwillen zu setzen. Weil indessen, man mag nun um das Geheimni      
  22 so weit herumgehen, als man immer will, die Geschlechterneigung      
  23 doch allen den übrigen Reizen endlich zum Grunde liegt, und ein Frauenzimmer      
  24 immer als ein Frauenzimmer der angenehme Gegenstand einer      
  25 wohlgesitteten Unterhaltung ist, so möchte daraus vielleicht zu erklären      
  26 sein, warum sonst artige Mannspersonen sich bisweilen die Freiheit nehmen,      
  27 durch den kleinen Muthwillen ihrer Scherze einige feine Anspielungen      
  28 durchscheinen zu lassen, welche machen, daß man sie lose oder schalkhaft      
  29 nennt, und wo, indem sie weder durch ausspähende Blicke beleidigen,      
  30 noch die Achtung zu verletzen gedenken, sie glauben berechtigt zu sein, die      
  31 Person, die es mit unwilliger oder spröder Miene aufnimmt, eine Ehrbarkeitspedantin      
  32 zu nennen. Ich führe dieses nur an, weil es gemeiniglich      
  33 als ein etwas kühner Zug vom schönen Umgange angesehen      
  34 wird, auch in der That von je her viel Witz darauf ist verschwendet worden;      
  35 was aber das Urtheil nach moralischer Strenge anlangt, so gehört      
  36 das nicht hieher, da ich in der Empfindung des Schönen nur die Erscheinungen      
  37 zu beobachten und zu erläutern habe.      
           
           
     

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