Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 152 |
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01 | zuwege zu bringen? Gewiß, eine solche Vorstellung überliefert | ||||||
02 | nimmermehr den Ursprung des Guten ohne allen Abbruch in die Hand | ||||||
03 | eines einzigen Wesens. Als Hugen die Pendeluhr erfand, so konnte er, | ||||||
04 | wenn er daran dachte, sich diese Gleichförmigkeit, welche ihre Vollkommenheit | ||||||
05 | ausmacht, nimmer gänzlich beimessen; die Natur der Cykloide, die es | ||||||
06 | möglich macht, daß kleine und große Bogen durch freien Fall in derselben | ||||||
07 | in gleicher Zeit beschrieben werden, konnte diese Ausführung lediglich in | ||||||
08 | seine Gewalt setzen. Daß aus dem einfachen Grunde der Schwere so ein | ||||||
09 | großer Umfang von schönen Folgen auch nur möglich ist, würde, wenn | ||||||
10 | es nicht von dem, der durch wirkliche Ausübung allen diesen Zusammenhang | ||||||
11 | hervor gebracht hat, selbst abhinge, seinen Antheil an der reizenden | ||||||
12 | Einheit und dem großen Umfange so vieler, auf einem einzigen Grunde | ||||||
13 | beruhender Ordnung offenbar schmälern und theilen. | ||||||
14 | Die Bewunderung über die Abfolge einer Wirkung aus einer Ursache | ||||||
15 | hört auf, so bald ich die Zulänglichkeit der Ursache zu ihr deutlich | ||||||
16 | und leicht einsehe. Auf diesen Fuß kann keine Bewunderung mehr statt | ||||||
17 | finden, wenn ich den mechanischen Bau des menschlichen Körpers, oder | ||||||
18 | welcher künstlichen Anordnung ich auch will, als ein Werk des Allmächtigen | ||||||
19 | betrachte und blos auf die Wirklichkeit sehe, denn es ist leicht und | ||||||
20 | deutlich zu verstehen: daß der, so alles kann, auch eine solche Maschine | ||||||
21 | wenn sie möglich ist, hervorbringen könne. Allein es bleibt gleichwohl Bewunderung | ||||||
22 | übrig, man mag gleich dieses zur leichteren Begreifung angeführt | ||||||
23 | haben, wie man will. Denn es ist erstaunlich, daß auch nur so etwas | ||||||
24 | wie ein thierischer Körper möglich war. Und wenn ich gleich alle Federn | ||||||
25 | und Röhren, alle Nervengefäße, Hebel und mechanische Einrichtung desselben | ||||||
26 | völlig einsehen könnte, so bliebe doch immer Bewunderung übrig, | ||||||
27 | wie es möglich sei, daß so vielfältige Verrichtungen in einem Bau vereinigt | ||||||
28 | worden, wie sich die Geschäfte zu einem Zwecke mit denen, wodurch | ||||||
29 | ein anderer erreicht wird, so wohl paaren lassen, wie eben dieselbe Zusammenfügung | ||||||
30 | außerdem noch dazu dient, die Maschine zu erhalten und | ||||||
31 | die Folgen aus zufälligen Verletzungen wieder zu verbessern, und wie es | ||||||
32 | möglich war, daß ein Mensch konnte ein so feines Gewebe sein und unerachtet | ||||||
33 | so vieler Gründe des Verderbens noch so lange dauren. Nachdem | ||||||
34 | ich auch endlich mich belehrt habe, daß so viel Einheit und Harmonie | ||||||
35 | darum möglich sei, weil ein Wesen da ist, welches nebst den Gründen der | ||||||
36 | Wirklichkeit auch die von aller Möglichkeit enthält, so hebt dieses noch | ||||||
37 | nicht den Grund der Bewunderung auf. Denn man kann sich zwar durch | ||||||
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