Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 102

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Natur der Luft ist auch diejenige zu zählen, da durch sie den darin bewegten      
  02 Materien Widerstand geleistet wird. Die Regentropfen, indem sie      
  03 von ungemeiner Höhe herabfallen, werden durch sie aufgehalten und      
  04 kommen mit mäßiger Schnelligkeit herab, da sie ohne diese Verzögerung      
  05 eine sehr verderbliche Gewalt im Herabstürzen von solcher Höhe würden      
  06 erworben haben. Dieses ist ein Vortheil, der, weil ohne ihn die Luft      
  07 nicht möglich ist, nicht durch einen besondern Rathschluß mit den übrigen      
  08 Eigenschaften derselben verbunden worden. Der Zusammenhang der      
  09 Theile der Materie mag nun z. E. bei dem Wasser eine nothwendige Folge      
  10 von der Möglichkeit der Materie überhaupt, oder eine besonders veranstaltete      
  11 Anordnung sein, so ist die unmittelbare Wirkung davon die runde      
  12 Figur kleiner Theile derselben, als der Regentropfen. Dadurch aber wird      
  13 der schöne farbichte Bogen nach sehr allgemeinen Bewegungsgesetzen möglich,      
  14 der mit einer rührenden Pracht und Regelmäßigkeit über dem Gesichtskreise      
  15 steht, wenn die unverdeckte Sonne in die gegenüber herabfallende      
  16 Regentropfen strahlt. Daß flüssige Materien und schwere Körper      
  17 da sind, kann nur dem Begehren dieses mächtigen Urhebers beigemessen      
  18 werden, daß aber ein Weltkörper in seinem flüssigen Zustande ganz nothwendiger      
  19 Weise so allgemeinen Gesetzen zu Folge eine Kugelgestalt anzunehmen      
  20 bestrebt ist, welche nachher besser, wie irgend eine andere mögliche      
  21 mit den übrigen Zwecken des Universum zusammenstimmt, indem z. E.      
  22 eine solche Oberfläche der gleichförmigsten Vertheilung des Lichts fähig      
  23 ist, das liegt in dem Wesen der Sache selbst.      
           
  24 Der Zusammenhang der Materie und der Widerstand, den die Theile      
  25 mit ihrer Trennbarkeit verbinden, macht die Reibung nothwendig, welche      
  26 von so großem Nutzen ist und so wohl mit der Ordnung in allen mannigfaltigen      
  27 Naturveränderungen zusammenstimmt, als irgend etwas, was      
  28 nicht aus so allgemeinen Gründen geflossen wäre, sondern durch eine besondere      
  29 Anstalt wäre hinzu gekommen. Wenn Reibung die Bewegungen      
  30 nicht verzögerte, so würde die Aufbehaltung der einmal hervorgebrachten      
  31 Kräfte durch die Mittheilung an andere, die Zurückschlagung und immer      
  32 fortgesetzte Anstöße und Erschütterungen alles zuletzt in Verwirrung      
  33 bringen. Die Flächen, worauf Körper liegen, müßten jederzeit vollkommen      
  34 wagerecht sein (welches sie nur selten sein können), sonst würden diese      
  35 jederzeit glitschen. Alle gedrehte Stricke halten nur durch Reibung. Denn      
  36 die Fäden, welche nicht die ganze Länge des Stricks haben, würden mit      
  37 der mindesten Kraft auseinandergezogen werden, wenn nicht die der Kraft,      
           
     

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