Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 099 |
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| 01 | Körper, bei dem Anziehen des Lichts in der Brechung eben so gut, als | ||||||
| 02 | beim Zurückstoßen desselben in der Abprallung, einer herrschenden Regel | ||||||
| 03 | unterworfen sind, nach welcher die größte Sparsamkeit in der Handlung | ||||||
| 04 | jederzeit beobachtet ist. Durch diese Entdeckung sind die Wirkungen der | ||||||
| 05 | Materie ungeachtet der großen Verschiedenheiten, die sie an sich haben | ||||||
| 06 | mögen, unter eine allgemeine Formel gebracht, die eine Beziehung auf | ||||||
| 07 | Anständigkeit, Schönheit und Wohlgereimtheit ausdrückt. Gleichwohl | ||||||
| 08 | sind die Gesetze der Bewegung selber so bewandt, daß sich nimmermehr | ||||||
| 09 | eine Materie ohne sie denken läßt, und sie sind so nothwendig, daß sie | ||||||
| 10 | auch ohne die mindeste Versuche aus der allgemeinen und wesentlichen | ||||||
| 11 | Beschaffenheit aller Materie mit größter Deutlichkeit können hergeleitet | ||||||
| 12 | werden. Der gedachte scharfsinnige Gelehrte empfand alsbald, daß, indem | ||||||
| 13 | dadurch in dem unendlichen Mannigfaltigen des Universum Einheit | ||||||
| 14 | und in dem blindlings Nothwendigen Ordnung verursacht wird, irgend | ||||||
| 15 | ein oberstes Principium sein müsse, wovon alles dieses seine Harmonie | ||||||
| 16 | und Anständigkeit her haben kann. Er glaubte mit Recht, daß ein so | ||||||
| 17 | allgemeiner Zusammenhang in den einfachsten Naturen der Dinge einen | ||||||
| 18 | weit tauglichern Grund an die Hand gebe, irgend in einem vollkommenen | ||||||
| 19 | Urwesen die letzte Ursache von allem in der Welt mit Gewißheit anzutreffen, | ||||||
| 20 | als alle Wahrnehmung verschiedener zufälligen und veränderlichen | ||||||
| 21 | Anordnung nach besondern Gesetzen. Nunmehr kam es darauf an, welchen | ||||||
| 22 | Gebrauch die höhere Weltweisheit von dieser wichtigen neuen Einsicht | ||||||
| 23 | würde machen können, und ich glaube in der Muthmaßung nicht zu fehlen, | ||||||
| 24 | wenn ich dafür halte, daß die königliche Akademie der Wissenschaften in | ||||||
| 25 | Berlin dieses zur Absicht der Preisfrage gehabt habe: ob die Bewegungsgesetze | ||||||
| 26 | nothwendig oder zufällig seien, und welche niemand der Erwartung | ||||||
| 27 | gemäß beantwortet hat. | ||||||
| 28 | Wenn die Zufälligkeit im Realverstande genommen wird, daß sie in | ||||||
| 29 | der Abhängigkeit der Materialen der Möglichkeit von einem andern besteht, | ||||||
| 30 | so ist augenscheinlich, daß die Bewegungsgesetze und die allgemeine Eigenschaften | ||||||
| 31 | der Materie, die ihnen gehorchen, irgend von einem großen gemeinschaftlichen | ||||||
| 32 | Urwesen, dem Grunde der Ordnung und Wohlgereimtheit, | ||||||
| 33 | abhängen müssen. Denn wer wollte dafür halten: daß in einem weitläuftigen | ||||||
| 34 | Mannigfaltigen, worin jedes einzelne seine eigene völlig unabhängige | ||||||
| 35 | Natur hätte, gleichwohl durch ein befremdlich Ungefähr sich alles | ||||||
| 36 | sollte gerade so schicken, daß es wohl mit einander reimte und im Ganzen | ||||||
| 37 | Einheit sich hervorfände. Allein daß dieses gemeinschaftliche Principium | ||||||
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