Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 098

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vom Lande wieder zurück kehrte, welches auch viel andern Nutzen mit      
  02 befördern könnte. Nun würde nur die Frage sein, durch welche Mechanik      
  03 und künstliche Anordnung dieser Windeswechsel zu erhalten wäre, und      
  04 hiebei würde man noch große Ursache haben zu besorgen: daß, da der      
  05 Mensch nicht verlangen kann, daß alle Naturgesetze sich zu seiner Bequemlichkeit      
  06 anschicken sollen, dieses Mittel zwar möglich, aber mit den übrigen      
  07 nöthigen Anstalten so übel zusammenpassend sein dürfte, daß die oberste      
  08 Weisheit es darum nicht zu verordnen gut fände. Alles dieses Bedenken      
  09 ist indessen unnöthig. Was eine nach überlegter Wahl getroffene Anordnung      
  10 thun würde, verrichtet hier die Luft nach den allgemeinen Bewegungsgesetzen,      
  11 und eben dasselbe einfache Principium ihrer anderweitigen Nutzbarkeit      
  12 bringt auch diese ohne neue und besondere Anstalten hervor. Die      
  13 von der Tageshitze verdünnte Luft über dem brennenden Boden eines      
  14 solchen Landes weicht nothwendiger Weise der dichtern und schwerern über      
  15 dem kühlen Meere und verursacht den Seewind, der um deswillen von den      
  16 heißesten Tagesstunden an bis spät in den Abend weht, und die Seeluft,      
  17 die aus den nämlichen Ursachen am Tage so stark nicht erhitzt worden      
  18 war, als die über dem Lande, verkühlt des Nachts geschwinder, zieht sich      
  19 zusammen und veranlaßt den Rückzug der Landluft zur Nachtzeit. Jedermann      
  20 weiß: daß alle Küsten des heißen Welttheils diesen Wechselwind      
  21 genießen.      
           
  22 Ich habe, um die Beziehungen, welche einfache und sehr allgemeine      
  23 Bewegungsgesetze durch die Nothwendigkeit ihres Wesens auf Ordnung      
  24 und Wohlgereimtheit haben, zu zeigen, nur meinen Blick auf einen kleinen      
  25 Theil der Natur, nämlich auf die Wirkungen der Luft, geworfen. Man      
  26 wird leicht gewahr werden, daß die ganze unermeßliche Strecke der großen      
  27 Naturordnung in eben demselben Betracht vor mir offen liege. Ich behalte      
  28 mir vor, noch etwas in dem Folgenden zu Erweiterung dieser schönen      
  29 Aussicht beizufügen. Anjetzt würde ich etwas Wesentliches aus der acht      
  30 lassen, wenn ich nicht der wichtigen Entdeckung des Herrn v. Maupertuis      
  31 gedächte, die er in Ansehung der Wohlgereimtheit der nothwendigen und      
  32 allgemeinsten Bewegungsgesetze gemacht hat.      
           
  33 Das, was wir zum Beweise angeführt haben, betrifft zwar weit ausgebreitete      
  34 und nothwendige Gesetze, allein nur von einer besondern Art der      
  35 Materien der Welt. Der Herr v. Maupertuis bewies dagegen: daß selbst      
  36 die allgemeinsten Gesetze, wornach die Materie überhaupt wirkt, sowohl      
  37 im Gleichgewichte als beim Stoße, sowohl der elastischen als unelastischen      
           
     

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