Kant: Briefwechsel, Brief 301, Von Ludwig Heinrich Iakob. |
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Von Ludwig Heinrich Iakob. | |||||||
Halle den 28 Iul. 1787. | |||||||
Wohlgebohrner | |||||||
Verehrungswürdiger Herr Professor, | |||||||
Ich hoffe, daß meine Schrift, welche ich mir die Freiheit nahm | |||||||
Ihnen gleich nach Beendigung des Drucks zuzuschicken, Sie nicht verfehlt | |||||||
haben wird, u. daß Sie also aus dem begleitenden Briefe meinen | |||||||
verbindlichsten Dank u. mein Gefühl der Ehrfurcht werden erkannt | |||||||
haben. Ich kann nicht unterlassen Ihnen die Freude mitzutheilen, | |||||||
welche mir das ausgebreitete u. warme Interesse, welches man an | |||||||
Ihren philosoph. Schriften zu nehmen anfängt verursacht, u. ich muß | |||||||
gestehen, daß das Bewustseyn in meinem Wirkungskreise dasselbe befördert | |||||||
zu haben, sehr vermehrt. Ich habe nun schon zweimal über | |||||||
Schulzens Auszug privatissime gelesen, u. habe das Vergnügen gehabt | |||||||
zu sehen, daß alle gute Köpfe Ihr System glücklich gefaßt haben, ob | |||||||
ich gleich noch nicht im Stande bin alle dennoch damit verbundenen | |||||||
Schwierigkeiten wegzuräumen. So gar einige hier lebende Gelehrte, | |||||||
worunter auch Professoren sind haben mich auf künftigen Winter um | |||||||
Vorlesungen über Ihr System ersucht. Da dergleichen Leute sich vor | |||||||
den Schwierigkeiten die Critik selbst zu lesen scheuen, u. sich doch zum | |||||||
Urtheilen am ersten berechtigt fühlen: so scheint es mir wenigstens für | |||||||
die gute Sache sehr nützlich, Sie mit den Resultaten bekant zu | |||||||
machen. - Ich bin vor Kurzem in Berlin gewesen, u. es hat mich | |||||||
ungemein gefreuet, daß man daselbst mit so allgemeiner Achtung u. | |||||||
Ehrfurcht von Ihnen sprach. Sr. Exc. der Min. v. Zedlitz hat mich | |||||||
sehr lebhaft aufgemuntert Ihre Gedanken in Halle bekannter zu machen | |||||||
u. der Graf v. Herzberg sprach mit grosser Wärme von Ihnen. Wenn | |||||||
auch Sie selbst über dergl. Beifall erhaben sind; so kann er Ihnen | |||||||
doch wegen den Fortgang, welchen die gute Sache durch Persohnen | |||||||
von äußerem Gewicht gewinnt nicht ganz gleichgültig seyn. Auf unsrer | |||||||
Universität haben wir seit kurzen ziemlich viele Veränderungen erlebt. | |||||||
HE. Kanzler v. Hofman thut alles mögliche ihr äusseren Glanz zu verschaffen. | |||||||
Die Zahl der reichen Studierenden vermehrt sich sehr. Mich | |||||||
hat Se. Majest. zum Professor Extr. ernannt, u. ich werde mich bemühen | |||||||
diese Ehre zu verdienen. Meine logische u. metaph. Vorlesungen | |||||||
s[in]d ziemlich stark besetzt. Ich habe bis jetzt noch kein befriedigendes | |||||||
Lehrbuch finden können u. sehe mich daher gedrungen selbst eins zu | |||||||
schreiben. Ich wünschte, daß Ew. Wohlgeb. einige Augenblicke Zeit | |||||||
entbehren könnten um mir durch e. Skelet den Plan vorzuzeichnen, | |||||||
welchen e. solches Lehrb. folgen müßte. Feder, über den ich bisher | |||||||
gelesen habe ist unsystematisch u. gänzlich unbrauchbar, so wie auch | |||||||
Ulrichs Compend. - Unter den Logiken scheint mir Wolf u. Baumgarten | |||||||
(die Ausgabe von Tollner) die Idee der Logik am richtigsten | |||||||
gefaßt zu haben u. ihm würde ich auch vornemlich folgen, nur bin | |||||||
ich wegen der Anwendung einiger Artickel noch nicht einig, da ich sie | |||||||
gern nach der in der Critik angegebnen Idee einer Logik ordnen | |||||||
wollte. Das Skelet würde ohngefehr folgendes seyn: Prolegomena | |||||||
Von der Philos. überhaupt u. ihren Theilen. 1. Von der | |||||||
Logik u. zwar von dem Erkentnisvermögen - dem Unterschiede der | |||||||
material. u. formal. Wahrheit u. den Kriterien der letztern. Hier[au]f | |||||||
würde ich das Verst[an]desvermögen selbst analysiren von Begriffen | |||||||
Urtheilen u. Schlüssen handeln u. hiermit die allgem. reine Logik beschließen. | |||||||
Der zweite Th. oder die angewandte allgem. Logik würde | |||||||
alsdenn handeln 1) Von der Erkentnis durch die Sinne u. Erfahrung | |||||||
u. deren allgem. Regeln nach Reimarus 2) Von der Erkentnis | |||||||
durch Zeugnisse. 3) Von den Zeichen u. den allgemeinen Regeln der | |||||||
Auslegung. 4) Von den verschiednen Beweisen u. Methoden 5) Von | |||||||
den Regeln des Disputirens. In der Metaph. würde ich statt der | |||||||
Proleg. e. kurzen Abris der transscend. Aesthetik u. Logik geben. | |||||||
Hierauf die Ontologie architektonisch u. dann e. Kritik der Psychol. | |||||||
Kosmologie u. Theologie folgen lassen. Die Ontologie richtig u. vollständig | |||||||
zu erbauen scheint mir immer noch sehr schwer, ohnerachtet ihrer in | |||||||
der Critik gegebnen Winke. Da Baumgarten u. andre ihre Begriffe | |||||||
[au]f die οντως οντα bezogen; so s[in]d auch ihre Erklarungen nur logisch | |||||||
u. ich weiß nicht ob ich diese logische Erklärungen in der Ontologie mitgeben | |||||||
soll - ferner weis ich noch nicht recht, wie ich mich der Vollst[än]digkeit | |||||||
der Tabelle versichren soll. Muß jede Kategorie so viel | |||||||
untergeordnete Begriffe haben als die andre, u. wie muß ich die | |||||||
Kategorien selbst untereinander verbinden? Die der Relation mit | |||||||
denen der Relation oder die der Quantität mit denen der Relat. u. | |||||||
so gegenseitig? - Wenn Hamberger nicht täuscht so haben Sie selbst | |||||||
eine Metaph. geschrieben. Wollten Sie wohl so gütig seyn u. mir | |||||||
selbige zuschicken, denn hier weis man nichts davon. Auch wünscht | |||||||
die Hemmerd. Handlung Ihre kleinen Schriften drucken zu dürfen u. | |||||||
erwartet desfalls Ihre Befehle. Denn es ist häufige Nachfrage u. sie | |||||||
s[in]d nicht mehr zu haben. Sie würde sich Ihre Bedingungen sehr gern | |||||||
gefallen lassen. HE. GehR. Iakobi hat auf eine grobe Art den Transsc. | |||||||
Idealismus misverstanden. Mich dünkt doch es hängt noch e. Zweideutigkeit | |||||||
in den Ausdrücken in u. ausser, welche die Theorie erschwert. | |||||||
Die Vorsehung schenke Ihnen ein recht langes Leben u. dauerhafte | |||||||
Gesundheit, damit sie Ihre grossen und tiefsinnigen Entwürfe noch | |||||||
ausführen können, u. die Freude haben die Wahrheit in vollem | |||||||
Triumpfe zu sehen. Ich empfehle mich Ihrer Gewogenheit, an der | |||||||
mir so unendlich viel gelegen ist u. bin mit der tiefsten Ehrfurcht | |||||||
Ew. Wohlgeb. | |||||||
gelehriger Schüler | |||||||
Iakob. | |||||||
Ich ersuche Sie beil. Briefchen gelegentl. auf die Post zu schicken. | |||||||
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