Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 275 |
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01 | machen und mit Nichtsthun viel zu thun geben; wobei das Interesse, | ||||||
02 | was er daran nimmt, ein Interesse des bloßen Wahnes ist und die Natur | ||||||
03 | also wirklich mit dem Menschen spielt und ihn (das Subject) zu seinem | ||||||
04 | Zwecke spornt: indessen daß dieser in der Überredung steht (objectiv), sich | ||||||
05 | selbst einen eigenen Zweck gesetzt zu haben. - Diese Neigungen des Wahnes | ||||||
06 | sind gerade darum, weil die Phantasie dabei Selbstschöpferin ist, dazu | ||||||
07 | geeignet, um im höchsten Grade leidenschaftlich zu werden, vornehmlich | ||||||
08 | wenn sie auf einen Wettstreit der Menschen angelegt sind. | ||||||
09 | Die Spiele des Knaben im Ballschlagen, Ringen, Wettrennen, Soldatenspielen; | ||||||
10 | weiterhin des Mannes im Schach= und Kartenspiel (wo in | ||||||
11 | der einen Beschäftigung der bloße Vorzug des Verstandes, in der zweiten | ||||||
12 | zugleich der baare Gewinn beabsichtigt wird); endlich des Bürgers, der in | ||||||
13 | öffentlichen Gesellschaften mit Faro oder Würfeln sein Glück versucht, | ||||||
14 | werden insgesammt unwissentlich von der weiseren Natur zu Wagstücken, | ||||||
15 | ihre Kräfte im Streit mit anderen zu versuchen, angespornt: eigentlich | ||||||
16 | damit die Lebenskraft überhaupt vor dem Ermatten bewahrt und rege erhalten | ||||||
17 | werde. Zwei solche Streiter glauben, sie spielen unter sich; in der | ||||||
18 | That aber spielt die Natur mit beiden, wovon sie die Vernunft klar überzeugen | ||||||
19 | kann, wenn sie bedenken, wie schlecht die von ihnen gewählten | ||||||
20 | Mittel zu ihrem Zwecke passen. - Aber das Wohlbefinden während dieser | ||||||
21 | Erregung, weil es sich mit (obgleich übelgedeuteten) Ideen des Wahnes | ||||||
22 | verschwistert, ist eben darum die Ursache eines Hanges zur heftigsten und | ||||||
23 | lange daurenden Leidenschaft*). | ||||||
24 | Neigungen des Wahnes machen den schwachen Menschen abergläubisch | ||||||
25 | und den Abergläubigen schwach, d. i. geneigt, von Umständen, die | ||||||
26 | keine Naturursachen (etwas zu fürchten oder zu hoffen) sein können, | ||||||
27 | dennoch interessante Wirkungen zu erwarten. Jäger, Fischer, auch Spieler | ||||||
28 | (vornehmlich in Lotterien) sind abergläubisch, und der Wahn, der zu der | ||||||
29 | Täuschung: das Subjective für objectiv, die Stimmung des inneren | ||||||
30 | Sinnes für Erkenntniß der Sache selbst zu nehmen, verleitet, macht zugleich | ||||||
31 | den Hang zum Aberglauben begreiflich. | ||||||
*) Ein Mann in Hamburg, der ein ansehnliches Vermögen daselbst verspielt hatte, brachte nun seine Zeit mit Zusehen der Spielenden zu. Ihn fragte ein anderer, wie ihm zu Muthe wäre, wenn er daran dächte, ein solches Vermögen einmal gehabt zu haben. Der erstere antwortete: "Wenn ich es noch einmal besäße, so wüßte ich doch nicht es auf angenehmere Art anzuwenden." | |||||||
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