Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 234 |
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01 | hat, beim Aussteigen, wenn einer von ihnen nach der Uhr sieht, | ||||||
02 | fröhlich sagt: "Wo ist die Zeit geblieben!" oder: "Wie kurz ist uns die Zeit | ||||||
03 | geworden!" Da im Gegentheil, wenn die Aufmerksamkeit auf die Zeit nicht | ||||||
04 | Aufmerksamkeit auf einen Schmerz, über den wir wegzusein uns bestreben, | ||||||
05 | sondern auf ein Vergnügen wäre, man wie billig jeden Verlust der Zeit | ||||||
06 | bedauren würde. - Unterredungen, die wenig Wechsel der Vorstellungen | ||||||
07 | enthalten, heißen langweilig, eben hiemit auch beschwerlich, und ein | ||||||
08 | kurzweiliger Mann wird, wenn gleich nicht für einen wichtigen, doch | ||||||
09 | für einen angenehmen Mann gehalten, der, sobald er nur ins Zimmer | ||||||
10 | tritt, gleich aller Mitgäste Gesichter erheitert, wie durch ein Frohsein wegen | ||||||
11 | Befreiung von einer Beschwerde. | ||||||
12 | Wie aber ist das Phänomen zu erklären, daß ein Mensch, der sich | ||||||
13 | den größten Theil seines Lebens hindurch mit langer Weile gequält hat, | ||||||
14 | so daß ihm jeder Tag lang wurde, doch am Ende des Lebens über die | ||||||
15 | Kürze des Lebens klagt? - Die Ursache hievon ist in der Analogie mit | ||||||
16 | einer ähnlichen Beobachtung zu suchen: woher die deutschen (nicht gemessenen | ||||||
17 | oder mit Meilenzeiger wie die russischen Werste versehenen) Meilen | ||||||
18 | je näher zur Hauptstadt (z. B. Berlin), immer desto kleiner, je | ||||||
19 | weiter aber davon (in Pommern), desto größer werden; nämlich die | ||||||
20 | Fülle der gesehenen Gegenstände (Dörfer und Landhäuser) bewirkt in | ||||||
21 | Erinnerung den täuschenden Schluß auf einen großen zurückgelegten | ||||||
22 | Raum, folglich auch auf eine längere dazu erforderlich gewesene Zeit; das | ||||||
23 | Leere aber im letzteren Fall wenig Erinnerung des Gesehenen und also | ||||||
24 | den Schluß auf einen kürzeren Weg und folglich kürzere Zeit, als sich nach | ||||||
25 | der Uhr ergeben würde. - - Eben so wird die Menge der Abschnitte, | ||||||
26 | die den letzten Theil des Lebens mit mannigfaltigen veränderten Arbeiten | ||||||
27 | auszeichnen, dem Alten die Einbildung von einer längeren zurückgelegten | ||||||
28 | Lebenszeit erregen, als er nach der Zahl der Jahre geglaubt hatte, und | ||||||
29 | das Ausfüllen der Zeit durch planmäßig fortschreitende Beschäftigungen, | ||||||
30 | die einen großen beabsichtigten Zweck zur Folge haben ( vitam extendere | ||||||
31 | factis ), ist das einzige sichere Mittel seines Lebens froh und dabei doch | ||||||
32 | auch lebenssatt zu werden. "Je mehr du gedacht, je mehr du gethan hast, | ||||||
33 | desto länger hast du (selbst in deiner eigenen Einbildung) gelebt." - | ||||||
34 | Ein solcher Beschluß des Lebens geschieht nun mit Zufriedenheit. | ||||||
35 | Wie steht es aber mit der Zufriedenheit ( acquiescentia ) während | ||||||
36 | dem Leben? - Sie ist dem Menschen unerreichbar: weder in moralischer | ||||||
37 | (mit sich selbst im Wohlverhalten zufrieden zu sein) noch in pragmatischer | ||||||
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