Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 216 |
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01 | der Quadratur des Cirkels, des Perpetuum Mobile, die Enthüllung der | ||||||
02 | übersinnlichen Kräfte der Natur und die Begreifung des Geheimnisses der | ||||||
03 | Dreieinigkeit sind in seiner Gewalt. Er ist der Ruhigste unter allen Hospitaliten | ||||||
04 | und seiner in sich verschlossenen Speculation wegen am weitesten | ||||||
05 | von der Raserei entfernt: weil er mit voller Selbstgenügsamkeit über alle | ||||||
06 | Schwierigkeiten der Nachforschung wegsieht. - Diese vierte Art der Verrückung | ||||||
07 | könnte man systematisch nennen. | ||||||
08 | Denn es ist in der letzteren Art der Gemüthsstörung nicht blos Unordnung | ||||||
09 | und Abweichung von der Regel des Gebrauchs der Vernunft, | ||||||
10 | sondern auch positive Unvernunft, d. i. eine andere Regel, ein ganz | ||||||
11 | verschiedener Standpunkt, worein, so zu sagen, die Seele versetzt wird, | ||||||
12 | und aus dem sie alle Gegenstände anders sieht und aus dem Sensorio | ||||||
13 | communi , das zur Einheit des Lebens (des Thiers) erfordert wird, sich | ||||||
14 | in einen davon entfernten Platz versetzt findet (daher das Wort Verrückung); | ||||||
15 | wie eine bergichte Landschaft, aus der Vogelperspective gezeichnet, | ||||||
16 | ein ganz anderes Urtheil über die Gegend veranlaßt, als wenn sie | ||||||
17 | von der Ebene aus betrachtet wird. Zwar fühlt oder sieht die Seele sich | ||||||
18 | nicht an einer andern Stelle (denn sie kann sich selbst nach ihrem Orte im | ||||||
19 | Raum, ohne einen Widerspruch zu begehen, nicht wahrnehmen, weil sie | ||||||
20 | sich sonst als Object ihres äußeren Sinnes anschauen würde, da sie sich | ||||||
21 | selbst nur Object des inneren Sinnes sein kann); aber man erklärt sich dadurch, | ||||||
22 | so gut wie man kann, die sogenannte Verrückung. - Es ist aber | ||||||
23 | verwunderungswürdig, daß die Kräfte des zerrütteten Gemüths sich doch | ||||||
24 | in einem System zusammenordnen, und die Natur auch sogar in die Unvernunft | ||||||
25 | ein Princip der Verbindung derselben zu bringen strebt, damit | ||||||
26 | das Denkungsvermögen, wenn gleich nicht objectiv zum wahren Erkenntniß | ||||||
27 | der Dinge, doch blos subjectiv zum Behuf des thierischen Lebens nicht | ||||||
28 | unbeschäftigt bleibt. | ||||||
29 | Dagegen zeigt der Versuch, sich selbst durch physische Mittel in einem | ||||||
30 | Zustande, welcher der Verrückung nahe kommt, und in den man sich willkürlich | ||||||
31 | versetzt, zu beobachten, um durch diese Beobachtung auch den unwillkürlichen | ||||||
32 | besser einzusehen, Vernunft genug, den Ursachen der Erscheinungen | ||||||
33 | nachzuforschen. Aber es ist gefährlich, mit dem Gemüth Experimente | ||||||
34 | und es in gewissem Grade krank zu machen, um es zu beobachten | ||||||
35 | und durch Erscheinungen, die sich da vorfinden möchten, seine Natur zu | ||||||
36 | erforschen. - So will Helmont nach Einnehmung einer gewissen Dosis | ||||||
37 | Napell (einer Giftwurzel) eine Empfindung wahrgenommen haben, als | ||||||
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