Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 217 |
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01 | ob er im Magen dächte. Ein anderer Arzt vergrößerte nach und nach | ||||||
02 | die Gabe Kampher, bis es ihm vorkam, als ob alles auf der Straße in | ||||||
03 | großem Tumult wäre. Mehrere haben mit dem Opium so lange an sich | ||||||
04 | experimentirt, bis sie in Gemüthsschwäche fielen, wenn sie nachließen | ||||||
05 | dieses Hülfsmittel der Gedankenbelebung ferner zu gebrauchen. - Ein | ||||||
06 | gekünstelter Wahnsinn könnte leicht ein wahrer werden. | ||||||
07 | Zerstreute Anmerkungen. |
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08 | § 53. Mit der Entwickelung der Keime zur Fortpflanzung entwickelt | ||||||
09 | sich zugleich der Keim der Verrückung; wie diese dann auch erblich ist. Es | ||||||
10 | ist gefährlich in Familien zu heurathen, wo auch nur ein einziges solches | ||||||
11 | Subject vorgekommen ist. Denn es mögen auch noch so viel Kinder eines | ||||||
12 | Ehepaars sein, die vor dieser schlimmen Erbschaft bewahrt bleiben, weil | ||||||
13 | sie z. B. insgesammt dem Vater, oder seinen Ältern und Vorältern nachschlagen, | ||||||
14 | so kommt doch, wenn die Mutter in ihrer Familie nur ein verrücktes | ||||||
15 | Kind gehabt hat (ob sie selbst gleich von diesem Übel frei ist), einmal | ||||||
16 | in dieser Ehe ein Kind zum Vorschein, welches in die mütterliche | ||||||
17 | Familie einschlägt (wie man es auch aus der Gestaltähnlichkeit abmerken | ||||||
18 | kann) und angeerbte Gemüthsstörung an sich hat. | ||||||
19 | Man will öfters die zufällige Ursache dieser Krankheit anzugeben | ||||||
20 | wissen, so daß sie als nicht angeerbt, sondern zugezogen vorgestellt werden | ||||||
21 | solle, als ob der Unglückliche selbst daran schuld sei. "Er ist aus Liebe | ||||||
22 | toll geworden" sagt man von dem Einen; von dem Anderen: "Er wurde | ||||||
23 | aus Hochmuth verrückt;" von einem Dritten wohl gar: "Er hat sich | ||||||
24 | überstudirt." - Die Verliebung in eine Person von Stande, der die | ||||||
25 | Ehe zuzumuthen die größte Narrheit ist, war nicht die Ursache, sondern | ||||||
26 | die Wirkung der Tollheit, und was den Hochmuth anlangt, so setzt die | ||||||
27 | Zumuthung eines nichts bedeutenden Menschen an andere, sich vor ihm | ||||||
28 | zu bücken, und der Anstand, sich gegen ihn zu brüsten, eine Tollheit | ||||||
29 | voraus, ohne die er auf ein solches Betragen nicht gefallen sein würde. | ||||||
30 | Was aber das Überstudiren*) anlangt, so hat es damit wohl keine | ||||||
31 | Noth, um junge Leute davor zu warnen. Es bedarf hier bei der Jugend | ||||||
*) Daß sich Kaufleute überhandeln und über ihre Kräfte in weitläuftigen Planen verlieren, ist eine gewöhnliche Erscheinung. Für die Übertreibung des Fleißes junger Leute aber (wenn ihr Kopf nur sonst gesund war) haben besorgte Ältern nichts [Seitenumbruch] zu fürchten. Die Natur verhütet solche Überladungen des Wissens schon von selbst dadurch, daß dem Studirenden die Dinge anekeln, über die er kopfbrechend und doch vergeblich gebrütet hat. | |||||||
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