Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 185

   
         
 

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  01 und sich kein Vernünfteln einmischt; da hingegen dem Gelehrten, welchem    
  02 viele fremdartige Nebengedanken durch den Kopf gehen, Vieles von seinen    
  03 Aufträgen oder häuslichen Angelegenheiten durch Zerstreuung entwischt,    
  04 weil er sie nicht mit genugsamer Aufmerksamkeit aufgefaßt hat. Aber mit    
  05 der Schreibtafel in der Tasche sicher zu sein, alles, was man in den Kopf    
  06 zum Aufbewahren niedergelegt hat, ganz genau und ohne Mühe wiederzufinden,    
  07 ist doch eine große Bequemlichkeit, und die Schreibkunst bleibt    
  08 immer eine herrliche Kunst, weil, wenn sie auch nicht zur Mittheilung    
  09 seines Wissens an Andere gebraucht würde, sie doch die Stelle des ausgedehntesten    
  10 und treuesten Gedächnisses vertritt, dessen Mangel sie ersetzen    
  11 kann.    
         
  12 Vergeßlichkeit ( obliviositas ) hingegen, wo der Kopf, so oft er auch    
  13 gefüllt wird, doch wie ein durchlöchertes Faß immer leer bleibt, ist ein um    
  14 desto größeres Übel. Dieses ist bisweilen unverschuldet; wie bei alten    
  15 Leuten, welche sich zwar die Begebenheiten ihrer jüngern Jahre gar wohl    
  16 erinnern können, aber das nächst Vorhergehende immer aus den Gedanken    
  17 verlieren. Aber oft ist es doch auch die Wirkung einer habituellen Zerstreuung,    
  18 welche vornehmlich die Romanleserinnen anzuwandeln pflegt.    
  19 Denn weil bei dieser Leserei die Absicht nur ist, sich für den Augenblick zu    
  20 unterhalten, indem man weiß, daß es bloße Erdichtungen sind, die Leserin    
  21 hier also volle Freiheit hat, im Lesen nach dem Laufe ihrer Einbildungskraft    
  22 zu dichten, welches natürlicherweise zerstreut und die Geistesabwesenheit    
  23 (Mangel der Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige) habituell    
  24 macht: so muß das Gedächtniß dadurch unvermeidlich geschwächt    
  25 werden. - Diese Übung in der Kunst die Zeit zu tödten und sich für die    
  26 Welt unnütz zu machen, hintennach aber doch über die Kürze des Lebens    
  27 zu klagen, ist abgesehen von der phantastischen Gemüthsstimmung, welche    
  28 sie hervorbringt, einer der feindseligsten Angriffe aufs Gedächtniß.    
         
  29

B.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 150)]    
  30

Von dem Vorhersehungsvermögen.

   
  31

( Praevisio .)

   
         
         
  32 § 35. Dieses Vermögen zu besitzen interessirt mehr als jedes andere:    
  33 weil es die Bedingung aller möglichen Praxis und der Zwecke ist, worauf    
  34 der Mensch den Gebrauch seiner Kräfte bezieht. Alles Begehren enthält    
  35 ein (zweifelhaftes oder gewisses) Voraussehen dessen, was durch diese    
         
     

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