Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 180 |
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01 | ähnliche Mienen hervor, die, wenn sie fixirt werden, endlich in | ||||||
02 | stehende Gesichtszüge übergehen. | ||||||
03 | Endlich kann man zu diesem unabsichtlichen Spiel der productiven | ||||||
04 | Einbildungskraft, die alsdann Phantasie genannt werden kann, auch | ||||||
05 | den Hang zum arglosen Lügen rechnen, der bei Kindern allemal, bei | ||||||
06 | Erwachsenen, aber sonst gutmüthigen, dann und wann, bisweilen fast | ||||||
07 | als anerbende Krankheit angetroffen wird, wo beim Erzählen die Begebenheiten | ||||||
08 | und vorgeblichen Abenteuer, wie eine herabrollende Schneelawine | ||||||
09 | wachsend, aus der Einbildungskraft hervorgehen, ohne irgend einen | ||||||
10 | Vortheil zu beabsichtigen, als blos sich interessant zu machen; wie der | ||||||
11 | Ritter John Falstaff beim Shakespeare, der aus zwei Männern in Frieskleidern | ||||||
12 | fünf Personen machte, ehe er seine Erzählung endigte. | ||||||
13 | § 33. Weil die Einbildungskraft reicher und fruchtbarer an Vorstellungen | ||||||
14 | ist als der Sinn, so wird sie, wenn eine Leidenschaft hinzutritt, | ||||||
15 | durch die Abwesenheit des Gegenstandes mehr belebt als durch die Gegenwart: | ||||||
16 | wenn etwas geschieht, was dessen Vorstellung, die eine Zeit lang | ||||||
17 | durch Zerstreuungen getilgt zu sein schien, wiederum ins Gemüth zurückruft. | ||||||
18 | - So hatte ein deutscher Fürst, sonst ein rauher Krieger, aber doch | ||||||
19 | edler Mann, um seine Verliebung in eine bürgerliche Person in seiner | ||||||
20 | Residenz sich aus dem Sinn zu bringen, eine Reise nach Italien unternommen; | ||||||
21 | der erste Anblick aber ihrer Wohnung bei seiner Wiederkehr erweckte | ||||||
22 | weit stärker, als es ein anhaltender Umgang gethan hätte, die | ||||||
23 | Einbildungskraft, so daß er der Entschließung ohne weitere Zögerung | ||||||
24 | nachgab, die glücklicher Weise auch der Erwartung entsprach. - Diese | ||||||
25 | Krankheit, als Wirkung einer dichtenden Einbildungskraft, ist unheilbar: | ||||||
26 | außer durch die Ehe. Denn diese ist Wahrheit ( eripitur persona, manet | ||||||
27 | res. Lucret.). | ||||||
28 | Die dichtende Einbildungskraft stiftet eine Art von Umgange mit | ||||||
29 | uns selbst, obgleich blos als Erscheinungen des inneren Sinnes, doch nach | ||||||
30 | einer Analogie mit äußeren. Die Nacht belebt sie und erhöht sie über ihren | ||||||
31 | wirklichen Gehalt: so wie der Mond zur Abendzeit eine große Figur am | ||||||
32 | Himmel macht, der am hellen Tage nur wie ein unbedeutendes Wölkchen | ||||||
33 | anzusehen ist. Sie schwärmt in demjenigen, der in der Stille der Nacht | ||||||
34 | lucubrirt, oder auch mit seinem eingebildeten Gegner zankt, oder, in seinem | ||||||
35 | Zimmer herumgehend, Luftschlösser baut. Aber alles, was ihm da wichtig | ||||||
36 | zu sein scheint, verliert an dem auf den Nachtschlaf folgenden Morgen | ||||||
37 | seine ganze Wichtigkeit; wohl aber fühlt er mit der Zeit von dieser übeln | ||||||
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