Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 120 |
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01 | Eine solche Anthropologie, als Weltkenntniß, welche auf die Schule | ||||||
02 | folgen muß, betrachtet, wird eigentlich alsdann noch nicht pragmatisch | ||||||
03 | genannt, wenn sie ein ausgebreitetes Erkenntniß der Sachen in der Welt, | ||||||
04 | z.B. der Thiere, Pflanzen und Mineralien in verschiedenen Ländern und | ||||||
05 | Klimaten, sondern wenn sie Erkenntniß des Menschen als Weltbürgers | ||||||
06 | enthält. - Daher wird selbst die Kenntniß der Menschenrassen als zum | ||||||
07 | Spiel der Natur gehörender Producte noch nicht zur pragmatischen, sondern | ||||||
08 | nur zur theoretischen Weltkenntniß gezählt. | ||||||
09 | Noch sind die Ausdrücke: die Welt kennen und Welt haben in ihrer | ||||||
10 | Bedeutung ziemlich weit auseinander: indem der Eine nur das Spiel | ||||||
11 | versteht, dem er zugesehen hat, der Andere aber mitgespielt hat. | ||||||
12 | Die sogenannte große Welt aber, den Stand der Vornehmen, zu beurtheilen, | ||||||
13 | befindet sich der Anthropologe in einem sehr ungünstigen Standpunkte, | ||||||
14 | weil diese sich unter einander zu nahe, von Anderen aber zu weit | ||||||
15 | befinden. | ||||||
16 | Zu den Mitteln der Erweiterung der Anthropologie im Umfange | ||||||
17 | gehört das Reisen, sei es auch nur das Lesen der Reisebeschreibungen. | ||||||
18 | Man muß aber doch vorher zu Hause durch Umgang mit seinen Stadt | ||||||
19 | oder Landesgenossen*) sich Menschenkenntniß erworben haben, wenn man | ||||||
20 | wissen will, wornach man auswärts suchen solle, um sie in größerem Umfange | ||||||
21 | zu erweitern. Ohne einen solchen Plan (der schon Menschenkenntniß | ||||||
22 | voraussetzt) bleibt der Weltbürger in Ansehung seiner Anthropologie immer | ||||||
23 | sehr eingeschränkt. Die Generalkenntniß geht hierin immer vor der | ||||||
24 | Localkenntniß voraus, wenn jene durch Philosophie geordnet und geleitet | ||||||
25 | werden soll: ohne welche alles erworbene Erkenntniß nichts als fragmentarisches | ||||||
26 | Herumtappen und keine Wissenschaft abgeben kann. | ||||||
27 | Allen Versuchen aber, zu einer solchen Wissenschaft mit Gründlichkeit | ||||||
28 | zu gelangen, stehen erhebliche, der menschlichen Natur selber anhängende | ||||||
29 | Schwierigkeiten entgegen. | ||||||
*)Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landescollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Cultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl, als auch mit angränzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten einen Verkehr begünstigt, - eine solche Stadt, [Seitenumbruch] wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zu Erweiterung sowohl der Menschenkenntniß als auch der Weltkenntniß genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann. | |||||||
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