Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 110

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01
5.
   
  02
Von der Hebung und Verhütung krankhafter Zufälle durch
   
  03
den Vorsatz im Athemziehen.
   
         
  04 Ich war vor wenigen Jahren noch dann und wann vom Schnupfen    
  05 und Husten heimgesucht, welche beide Zufälle mir desto ungelegener waren,    
  06 als sie sich bisweilen beim Schlafengehen zutrugen. Gleichsam entrüstet    
  07 über diese Störung des nachtschlafs entschloß ich mich, was den ersteren    
  08 Zufall betrifft, mit fest geschlossenen Lippen durchaus die Luft durch die    
  09 Nase zu ziehen; welches mir anfangs nur mit einem schwachen Pfeifen    
  10 und, da ich nicht absetzte oder nachließ, immer mit stärkerem, zuletzt mit    
  11 vollem und freiem Luftzuge gelang, es durch die nase zu Stande zu bringen,    
  12 darüber ich dann sofort einschlief. - Was dies gleichsam convulsivische    
  13 und mit dazwischen vorfallendem Einathmen (nicht wie beim Lachen    
  14 ein continuirtes) stoßweise erschallende Ausathmen, den Husten, betrifft,    
  15 vornehmlich den, welchen der gemeine Mann in England den Altmannshusten    
  16 (im Bette liegend) nennt, so war er mir um so mehr ungelegen,    
  17 da er sich bisweilen bald nach der Erwärmung im Bette einstellte und das    
  18 Einschlafen verzögerte. Dieses Husten, welches durch den Reiz der mit    
  19 offenem Munde eingeathmeten Luft auf den Luftröhrenkopf erregt wird,*)    
         
    *) Sollte auch nicht die atmosphärische Luft, wenn sie durch die Eustachische Röhre (also bei geschlossenen Lippen) circulirt, dadurch, daß sie auf diesem dem Gehirn nahe liegenden Umwege Sauerstoff absetzt, das erquickende Gefühl gestärkter Lebensorgane bewirken, welches dem ähnlich ist, als ob man Luft trinke; wobei diese, ob sie zwar keinen Geruch hat, doch die Geruchsnerven und die denselben nahe liegende einsaugende Gefäße stärkt? Bei manchem Wetter findet sich dieses Erquickliche des Genusses der Luft nicht: bei anderem ist es eine wahre Annehmlichkeit sie auf seiner Wanderung mit langen Zügen zu trinken: welches das Einathmen mit offenem Munde nicht gewährt. - - Das ist aber von der größten diätetischen Wichtigkeit, den Athemzug durch die Nase bei geschlossenen Lippen sich so zur Gewohnheit zu machen, daß er selbst im tiefsten Schlaf nicht anders verrichtet wird, und man sogleich aufwacht, sobald er mit offenem Munde geschieht, und dadurch gleichsam aufgeschreckt wird; wie ich das anfänglich, ehe es mir zur Gewohnheit wurde auf solche Weise zu athmen, bisweilen erfuhr. - Wenn man genöthigt ist stark oder bergan zu schreiten, so gehört größere Stärke des Vorsatzes dazu von jener Regel nicht abzuweichen und eher seine Schritte zu mäßigen, als von ihr eine Ausnahme zu machen; ingleichen, wenn es um starke Motion zu thun ist, die etwa ein Erzieher seinen Zöglingen geben will, daß dieser sie ihre Bewegung lieber stumm, als mit öfterer Einathmung durch den Mund machen lasse. [Seitenumbruch] Meine Jungen Freunde (ehemalige Zuhörer) haben diese diätetische Maxime als probat und heilsam gepriesen und sie nicht unter die Kleinigkeiten gezählt, weil sie bloßes Hausmittel ist, das den Arzt entbehrlich macht. - Merkwürdig ist noch: daß, da es scheint, beim lange fortgesetzten Sprechen geschehe das Einathmen auch durch den so oft geöffneten Mund, mithin jene Regel werde da doch ohne Schaden überschritten, es sich wirklich nicht so verhält. Denn es geschieht doch auch durch die Nase. Denn wäre diese zu der Zeit verstopft, so würde man von dem Redner sagen, er spreche durch die Nase (ein sehr widriger Laut), indem er wirklich nicht durch die Nase spräche, und umgekehrt, er spreche nicht durch die Nase, indem er wirklich durch die Nase spricht: wie es Hr. Hofr. Lichtenberg launicht und richtig bemerkt. - Das ist auch der Grund, warum der, welcher lange und laut spricht (Vorleser oder Prediger), es ohne Rauhigkeit der Kehle eine Stunde lang wohl aushalten kann: weil nämlich sein Athemziehen eigentlich durch die Nase, nicht durch den Mund geschieht, als durch welchen nur das Ausathmen verrichtet wird. - Ein Nebenvortheil dieser Angewohnheit des Athemzuges mit beständig geschlossenen Lippen, wenn man für sich allein wenigstens nicht im Discurs begriffen ist, ist der: daß die sich immer absondernde und den Schlund befeuchtende Saliva hiebei zugleich als Verdauungsmittel ( stomachale ), vielleicht auch (verschluckt) als Abführungsmittel wirkt, wenn man fest genug entschlossen ist, sie nicht durch üble Angewohnheit zu verschwenden.    
         
     

[ Seite 109 ] [ Seite 111 ] [ Inhaltsverzeichnis ]