Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 070

   
         
 

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  01 bloß passiven Theile der Welt. - Jetzt erschien die Kritik der Vernunft    
  02 und bestimmte dem Menschen in der Welt eine durchaus active    
  03 Existenz. Der Mensch selbst ist ursprünglich Schöpfer aller seiner Vorstellungen    
  04 und Begriffe und soll einziger Urheber aller seiner Handlungen    
  05 sein. Jenes "ist" und dieses "soll" führt auf zwei ganz verschiedene Bestimmungen    
  06 am Menschen. Wir bemerken daher auch im Menschen zweierlei    
  07 ganz verschiedenartige Theile, nämlich auf der einen Seite Sinnlichkeit    
  08 und Verstand und auf der andern Vernunft und freien Willen, die sich    
  09 sehr wesentlich von einander unterscheiden. In der Natur ist alles; es ist    
  10 von keinem Soll in ihr die Rede; Sinnlichkeit und Verstand gehen aber    
  11 nur immer darauf aus, zu bestimmen, was und wie es ist; sie müssen also    
  12 für die Natur, für diese Erdenwelt, bestimmt sein und mithin zu ihr gehören.    
  13 Die Vernunft will beständig ins Übersinnliche, wie es wohl über    
  14 die sinnliche Natur hinaus beschaffen sein möchte: sie scheint also , obzwar    
  15 ein theoretisches Vermögen, dennoch gar nicht für diese Sinnlichkeit bestimmt    
  16 zu sein; der freie Wille aber besteht ja in einer Unabhängigkeit von    
  17 den Außendingen; diese sollen nicht Triebfedern des Handlens für den    
  18 Menschen sein; er kann also noch weniger zur Natur gehören. Aber wohin    
  19 denn? Der Mensch muß für zwei ganz verschiedene Welten bestimmt sein,    
  20 einmal für das Reich der Sinne und des Verstandes, also für diese Erdenwelt:    
  21 dann aber auch noch für eine andere Welt, die wir nicht kennen, für    
  22 ein Reich der Sitten.    
         
  23 Was den Verstand betrifft, so ist dieser schon für sich durch seine Form    
  24 auf diese Erdenwelt eingeschränkt; denn er besteht bloß aus Kategorien,    
  25 d. h. Äußerungsarten, die bloß auf sinnliche Dinge sich beziehen können.    
  26 Seine Gränzen sind ihm also scharf gesteckt. Wo die Kategorien aufhören,    
  27 da hört auch der Verstand auf: weil sie ihn erst bilden und zusammensetzen.    
  28 (Ein Beweis für die bloß irdische oder Naturbestimmung des Verstandes    
  29 scheint mir auch dieses zu sein, daß wir in Rücksicht der Verstandeskräfte    
  30 eine Stufenleiter in der Natur finden, vom klügsten Menschen bis zum    
  31 dümmsten Thiere (indem wir doch den Instinct auch als eine Art von    
  32 Verstand ansehen können, in sofern zum bloßen Verstande der freie Wille    
  33 nicht gehört).) Aber nicht so in Rücksicht der Moralität, die da aufhört,    
  34 wo die Menschheit aufhört, und die in allen Menschen ursprünglich dasselbe    
  35 Ding ist. Der Verstand muß also bloß zur Natur gehören, und wenn der    
  36 Mensch bloß Verstand hätte ohne Vernunft und freien Willen, oder ohne    
  37 Moralität, so würde er sich in nichts von den Thieren unterscheiden und    
         
     

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