Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 071

   
         
 

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  01 vielleicht bloß an der Spitze ihrer Stufenleiter stehen, da er hingegen jetzt,    
  02 im Besitz der Moralität, als freies Wesen, durchaus und wesentlich von den    
  03 Thieren verschieden ist, auch von dem klügsten (dessen Instinct oft deutlicher    
  04 und bestimmter wirkt, als der Verstand der Menschen). - Dieser Verstand    
  05 aber ist ein gänzlich actives Vermögen des Menschen; alle seine Vorstellungen    
  06 und Begriffe sind bloß seine Geschöpfe, der Mensch denkt mit    
  07 seinem Verstande ursprünglich, und er schafft sich also seine Welt. Die    
  08 Außendinge sind nur Gelegenheitsursachen der Wirkung des Verstandes,    
  09 sie reizen ihn zur Action, und das Product dieser Action sind Vorstellungen    
  10 und Begriffe. Die Dinge also, worauf sich diese Vorstellungen und Begriffe    
  11 beziehen, können nicht das sein, was unser Verstand vorstellt; denn    
  12 der Verstand kann nur Vorstellungen und seine Gegenstände, nicht aber    
  13 wirkliche Dinge schaffen, d. h. die Dinge können unmöglich durch diese    
  14 Vorstellungen und Begriffe vom Verstande als solche, wie sie an sich sein    
  15 mögen, erkannt werden; die Dinge, die unsere Sinne und unser Verstand    
  16 darstellen, sind vielmehr an sich nur Erscheinungen, d. i. Gegenstände    
  17 unserer Sinne und unseres Verstandes, die das Product aus dem Zusammentreffen    
  18 der Gelegenheitsursachen und der Wirkung des Verstandes    
  19 sind, die aber deswegen doch nicht Schein sind, sondern die wir im praktischen    
  20 Leben für uns als wirkliche Dinge und Gegenstände unserer Vorstellungen    
  21 ansehen können; eben weil wir die wirklichen Dinge als jene    
  22 Gelegenheitsursachen supponiren müssen. Ein Beispiel giebt die Naturwissenschaft.    
  23 Außendinge wirken auf einen actionsfähigen Körper und    
  24 reizen diesen dadurch zur Action; das Product hievon ist Leben. - Was    
  25 ist aber Leben? Physisches Anerkennen seiner Existenz in der Welt und    
  26 seines Verhältnisses zu den Außendingen; der Körper lebt dadurch, daß er    
  27 auf die Außendinge reagirt, sie als seine Welt ansieht und sie zu seinem    
  28 Zweck gebraucht, ohne sich weiter um ihr Wesen zu bekümmern. Ohne    
  29 Außendinge wäre dieser Körper kein lebender Körper, und ohne Actionsfähigkeit    
  30 des Körpers wären die Außendinge nicht seine Welt. Eben so    
  31 mit dem Verstande. Erst durch sein Zusammentreffen mit den Außendingen    
  32 entsteht diese seine Welt; ohne Außendinge wäre er todt, -ohne    
  33 Verstand aber wären keine Vorstellungen, ohne Vorstellungen keine Gegenstände    
  34 und ohne diese nicht diese seine Welt; so wie mit einem anderen    
  35 Verstande auch eine andere Welt da sein würde, welches durch das Beispiel    
  36 von Wahnsinnigen klar wird. Also der Verstand ist Schöpfer seiner    
  37 Gegenstände und der Welt, die aus ihnen besteht; aber so, daß wirkliche    
         
     

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