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Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 065 |
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die Vernunft hinreichend wegen der Menschlichkeit der Geschichtserzählung, |
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die, gleich einem alten Pergamente hin und wieder unleserlich, |
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durch Accommodationen und Conjecturen im Zusammenhange mit dem |
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Ganzen muß verständlich gemacht werden, und berechtigt dabei doch zu |
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dem Satz: daß die Bibel, gleich ob sie eine göttliche Offenbarung |
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wäre, aufbewahrt, moralisch benutzt und der Religion als ihr |
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Leitmittel untergelegt zu werden verdiene. |
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Die Keckheit der Kraftgenies, welche diesem Leitbande des Kirchenglaubens |
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sich jetzt schon entwachsen zu sein wähnen, sie mögen nun als |
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Theophilanthropen in öffentlichen dazu errichteten Kirchen, oder als |
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Mystiker bei der Lampe innerer Offenbarungen schwärmen, würde die |
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Regierung bald ihre Nachsicht bedauren machen, jenes große Stiftungs |
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und Leitungsmittel der bürgerlichen Ordnung und Ruhe vernachlässigt |
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und leichtsinnigen Händen überlassen zu haben. - Auch ist nicht zu erwarten, |
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daß, wenn die Bibel, die wir haben, außer Credit kommen sollte, |
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eine andere an ihrer Stelle emporkommen würde; denn öffentliche Wunder |
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machen sich nicht zum zweitenmale in derselben Sache: weil das Fehlschlagen |
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des vorigen in Absicht auf die Dauer dem folgenden allen Glauben |
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benimmt; - wiewohl doch auch andererseits auf das Geschrei der |
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Alarmisten (das Reich ist in Gefahr) nicht zu achten ist, wenn in gewissen |
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Statuten der Bibel, welche mehr die Förmlichkeiten als den inneren |
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Glaubensgehalt der Schrift betreffen, selbst an den Verfassern derselben |
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einiges gerügt werden sollte: weil das Verbot der Prüfung einer |
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Lehre der Glaubensfreiheit zuwider ist. - Daß aber ein Geschichtsglaube |
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Pflicht sei und zur Seligkeit gehöre, ist Aberglaube.*) |
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*) Aberglaube ist der Hang in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären läßt - es sei im Physischen oder Moralischen. - Man kann also die Frage aufwerfen: ob der Bibelglaube (als empirischer), oder ob umgekehrt die Moral (als reiner Vernunft= und Religionsglaube) dem Lehrer zum Leitfaden dienen solle; mit anderen Worten: ist die Lehre von Gott, weil sie in der Bibel steht, oder steht sie in der Bibel, weil sie von Gott ist? - Der erstere Satz ist augenscheinlich inconsequent: weil das göttliche Ansehen des Buchs hier vorausgesetzt werden muß, um die Göttlichkeit der Lehre desselben zu beweisen. Also kann nur der zweite Satz Statt finden, der aber schlechterdings keines Beweises fähig ist ( Supernaturalium non datur scientia ). - - Hievon ein Beispiel. Die Jünger des mosaisch=messianischen Glaubens sahen ihre Hoffnung aus dem Bunde Gottes mit Abraham nach Jesu Tode ganz sinken (wir hofften, er würde [Seitenumbruch] Israel erlösen); denn nur den Kindern Abrahams war in ihrer Bibel das Heil verheißen. Nun trug es sich zu, daß, da am Pfingstfeste die Jünger versammelt waren, einer derselben auf den glücklichen, der subtilen jüdischen Auslegungskunst angemessenen Einfall gerieth, daß auch die Heiden (Griechen und Römer) als in diesen Bund aufgenommen betrachtet werden könnten: wenn sie an das Opfer, welches Abraham Gotte mit seinem einzigen Sohne bringen wollte (als dem Sinnbilde des einigen Opfers des Weltheilandes) glaubten; denn da wären sie Kinder Abrahams im Glauben (zuerst unter, dann aber auch ohne die Beschneidung). es ist kein Wunder, daß diese Entdeckung, die in einer großen Volksversammlung eine so unermeßliche Aussicht eröffnete, mit dem größten Jubel, und als ob sie unmittelbare Wirkung des heil. Geistes gewesen wäre, aufgenommen und für ein Wunder gehalten wurde und als ein solches in die biblische (Apostel=)Geschichte kam, bei der es aber gar nicht zur Religion gehört, sie als Factum zu Glauben und diesen Glauben der natürlichen Menschenvernunft aufzudringen. Der durch Furcht abgenöthigte Gehorsam in Ansehung eines solchen Kirchenglaubens, als zur Seligkeit erforderlich, ist also Aberglaube. |
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