Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 066 |
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| 01 | Von der biblischen Auslegungskunst ( hermeneutica sacra ), da | ||||||
| 02 | sie nicht den Laien überlassen werden kann (denn sie betrifft ein wissenschaftliches | ||||||
| 03 | System), darf nun lediglich in Ansehung dessen, was in der | ||||||
| 04 | Religion statutarisch ist, verlangt werden: daß der Ausleger sich erkläre, | ||||||
| 05 | ob sein Ausspruch als authentisch, oder als doctrinal verstanden | ||||||
| 06 | werden solle. - Im ersteren Falle muß die Auslegung dem Sinne des | ||||||
| 07 | Verfassers buchstäblich (philologisch) angemessen sein; im zweiten aber | ||||||
| 08 | hat der Schriftsteller die Freiheit, der Schriftstelle (philosophisch) denjenigen | ||||||
| 09 | Sinn unterzulegen, den sie in moralisch=praktischer Absicht (zur Erbauung | ||||||
| 10 | des Lehrlings) in der Exegese annimmt; denn der Glaube an | ||||||
| 11 | einen bloßen Geschichtssatz ist todt an ihm selber. - Nun mag wohl die | ||||||
| 12 | erstere für den Schriftgelehrten und indirect auch für das Volk in gewisser | ||||||
| 13 | pragmatischen Absicht wichtig genug sein, aber der eigentliche Zweck | ||||||
| 14 | der Religionslehre, moralisch bessere Menschen zu bilden, kann auch dabei | ||||||
| 15 | nicht allein verfehlt, sondern wohl gar verhindert werden. - Denn | ||||||
| 16 | die heilige Schriftsteller können als Menschen auch geirrt haben(wenn | ||||||
| 17 | man nicht ein durch die Bibel beständig fortlaufendes Wunder annimmt), | ||||||
| 18 | wie z. B. der h. Paul mit seiner Gnadenwahl, welche er aus der mosaisch | ||||||
| 19 | messianischen Schriftlehre in die evangelische treuherzig überträgt, | ||||||
| 20 | ob er zwar über die Unbegreiflichkeit der Verwerfung gewisser Menschen, | ||||||
| 21 | ehe sie noch geboren waren, sich in großer Verlegenheit befindet und so, | ||||||
| 22 | wenn man die Hermeneutik der Schriftgelehrten als continuirlich dem | ||||||
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