Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 064

   
         
 

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  01 Herzen desselben den ausgebreitetsten und kräftigsten Einfluß haben    
  02 mußte. - Die Bibel war das Vehikel derselben vermittelst gewisser statutarischer    
  03 Vorschriften, welche der Ausübung der Religion in der bürgerlichen    
  04 Gesellschaft eine Form als einer Regierung gab, und die Authenticität    
  05 dieses Gesetzbuchs als eines göttlichen (des Inbegriffs aller unserer    
  06 Pflichten als göttlicher Gebote) beglaubigt also und documentirt sich selbst,    
  07 was den Geist desselben (das Moralische) betrifft; was aber den Buchstaben    
  08 (das Statutarische) desselben anlangt, so bedürfen die Satzungen    
  09 in diesem Buche keiner Beglaubigung, weil sie nicht zum wesentlichen    
  10 ( principale ), sondern nur zum Beigesellten ( accessorium ) desselben gehören.    
  11 - Den Ursprung aber dieses Buchs auf Inspiration seiner Verfasser    
  12 ( deus ex machina ) zu gründen, um auch die unwesentliche Statute    
  13 desselben zu heiligen, muß eher das Zutrauen zu seinem moralischen Werth    
  14 schwächen, als es stärken.    
         
  15 Die Beurkundung einer solchen Schrift, als einer göttlichen, kann    
  16 von keiner Geschichtserzählung, sondern nur von der erprobten Kraft derselben,    
  17 Religion in menschlichen Herzen zu gründen und, wenn sie durch    
  18 mancherlei (alte oder neue) Satzungen verunartet wäre, sie durch ihre    
  19 Einfalt, selbst wieder in ihre Reinigkeit herzustellen, abgeleitet werden,    
  20 welches Werk darum nicht aufhört, Wirkung der Natur und Erfolg der    
  21 fortschreitenden moralischen Cultur in dem allgemeinen Gange der Vorsehung    
  22 zu sein, und als eine solche erklärt zu werden bedarf, damit die    
  23 Existenz dieses Buchs nicht ungläubisch dem bloßen Zufall, oder abergläubisch    
  24 einem Wunder zugeschrieben werde, und die Vernunft in    
  25 beiden Fällen auf den Strand gerathe.    
         
  26 Der Schluß hieraus ist nun dieser:    
         
  27 Die Bibel enthält in sich selbst einen in praktischer Absicht hinreichenden    
  28 Beglaubigungsgrund ihrer (moralischen) Göttlichkeit durch den    
  29 Einfluß, den sie als Text einer systematischen Glaubenslehre von jeher sowohl    
  30 in katechetischem als homiletischem Vortrage auf das Herz der Menschen    
  31 ausgeübt hat, um sie als Organ nicht allein der allgemeinen und    
  32 inneren Vernunftreligion, sondern auch als Vermächtniß (neues Testament)    
  33 einer statutarischen, auf unabsehliche Zeiten zum Leitfaden dienenden    
  34 Glaubenslehre aufzubehalten: es mag ihr auch in theoretischer Rücksicht    
  35 für Gelehrte, die ihren Ursprung theoretisch und historisch nachsuchen,    
  36 und für die kritische Behandlung ihrer Geschichte an Beweisthümern viel    
  37 oder wenig abgehen. - Die Göttlichkeit ihres moralischen Inhalts entschädigt    
         
     

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