Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 040

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01 Ob wir künftig blos der Seele nach leben, oder ob dieselbe Materie,    
  02 daraus unser Körper hier Bestand, zur Identität unserer Person in der    
  03 andern Welt erforderlich, die Seele also keine besondere Substanz sei,    
  04 unser Körper selbst müsse auferweckt werden, das kann uns in praktischer    
  05 Absicht ganz gleichgültig sein; denn wem ist wohl sein Körper so lieb, daß    
  06 er ihn gern in Ewigkeit mit sich schleppen möchte, wenn er seiner entübrigt    
  07 sein kann? Des Apostels Schluß also: "Ist Christus nicht auferstanden    
  08 (dem Körper nach lebendig geworden), so werden wir auch nicht auferstehen    
  09 (nach dem Tode gar nicht mehr leben)" ist nicht bündig. Er mag    
  10 es aber auch nicht sein (denn dem Argumentiren wird man doch nicht auch    
  11 eine Inspiration zum Grunde legen), so hat er doch hiemit nur sagen    
  12 wollen, daß wir Ursache haben zu glauben, Christus lebe noch, und unser    
  13 Glaube sei eitel, wenn selbst ein so vollkommner Mensch nicht nach dem    
  14 (leiblichen) Tode leben sollte, welcher Glaube, den ihm (wie allen Menschen)    
  15 die Vernunft eingab, ihn zum historischen Glauben an eine öffentliche    
  16 Sache bewog, die er treuherzig für wahr annahm und sie zum Beweisgrunde    
  17 eines moralischen Glaubens des künftigen Lebens brauchte,    
  18 ohne inne zu werden, daß er selbst dieser sage ohne den letzteren schwerlich    
  19 würde Glauben beigemessen haben. Die moralische Absicht wurde    
  20 hiebei erreicht, wenn gleich die Vorstellungsart das Merkmal der Schulbegriffe    
  21 an sich trug, in denen er war erzogen worden. -Übrigens stehen    
  22 jener Sache wichtige Einwürfe entgegen: die Einsetzung des Abendmahls    
  23 (einer traurigen Unterhaltung) zum andenken an ihn sieht einem förmlichen    
  24 Abschied (nicht blos aufs baldige Wiedersehen) ähnlich. Die klagende    
  25 Worte am Kreuz drücken eine fehlgeschlagene Absicht aus (die    
  26 Juden noch bei seinem Leben zur wahren Religion zu bringen), da doch    
  27 eher das Frohsein über eine vollzogne Absicht hätte erwartet werden sollen.    
  28 Endlich der Ausdruck der Jünger bei dem Lucas: "Wir dachten, er solle    
  29 Israel erlösen" läßt auch nicht abnehmen, daß sie auf ein in drei Tagen    
  30 erwartetes Wiedersehen vorbereitet waren, noch weniger, daß ihnen von    
  31 seiner Auferstehung etwas zu Ohren gekommen sei. -Aber warum sollten    
  32 wir wegen einer Geschichtserzählung, die wir immer an ihren Ort    
  33 (unter die Adiaphora) gestellt sein lassen sollen, uns in so viel gelehrte    
  34 Untersuchungen und Streitigkeiten verflechten, wenn es um Religion zu    
  35 thun ist, welcher der Glaube in praktischer Beziehung, den die Vernunft    
  36 uns einflößt, schon für sich hinreichend ist.    
         
  37 b) In der Auslegung der Schriftstellen, in welchen der Ausdruck unserm    
         
     

[ Seite 039 ] [ Seite 041 ] [ Inhaltsverzeichnis ]