Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 038 |
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01 | dem, was in neuen geschah, welche als Judaism, wenn sie irrigerweise in | ||||||
02 | die Glaubenslehre als ein Stück derselben aufgenommen wird, uns wohl | ||||||
03 | den Seufzer ablocken kann: nunc istae reliquiae nos exercent. Cicero. ) | ||||||
04 | Um deswillen ist eine Schriftgelehrsamkeit des Christenthums manchen | ||||||
05 | Schwierigkeiten der Auslegungskunst unterworfen, über die und deren | ||||||
06 | Princip die obere Facultät (der biblische Theolog) mit der unteren in | ||||||
07 | Streit gerathen muß, indem die erstere als für die theoretische biblische | ||||||
08 | Erkenntniß vorzüglich besorgt die letztere in Verdacht zieht, alle Lehren, | ||||||
09 | die als eigentliche Offenbarungslehren und also buchstäblich angenommen | ||||||
10 | werden müßten, wegzuphilosophiren und ihnen einen beliebigen Sinn | ||||||
11 | unterzuschieben, diese aber als mehr aufs Praktische, d. i. mehr auf Religion | ||||||
12 | als auf Kirchenglauben, sehend umgekehrt jene beschuldigt durch solche | ||||||
13 | Mittel den Endzweck, der als innere Religion moralisch sein muß und | ||||||
14 | auf der Vernunft beruht, ganz aus den Augen zu bringen. Daher die | ||||||
15 | letztere, welche die Wahrheit zum Zweck hat, mithin die Philosophie im | ||||||
16 | Falle des Streits über den Sinn einer Schriftstelle sich das Vorrecht anmaßt, | ||||||
17 | ihn zu bestimmen. Folgendes sind die philosophischen Grundsätze | ||||||
18 | der Schriftauslegerei, wodurch nicht verstanden werden will, daß die Auslegung | ||||||
19 | philosophisch (zur Erweiterung der Philosophie abziehlt), sondern | ||||||
20 | daß blos die Grundsätze der Auslegung so beschaffen sein müssen: weil | ||||||
21 | alle Grundsätze, sie mögen nun eine historisch= oder grammatisch= kritische | ||||||
22 | Auslegung betreffen, jederzeit, hier aber besonders, weil, was aus Schriftstellen | ||||||
23 | für die Religion (die blos ein Gegenstand der Vernunft sein kann) | ||||||
24 | auszumitteln sei, auch von der Vernunft dictirt werden müssen. | ||||||
25 | II |
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26 | Philosophische Grundsätze der Schriftauslegung zu |
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27 | Beilegung des Streits. |
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28 | 1. Schriftstellen, welche gewisse theoretische, für heilig angekündigte, | ||||||
29 | aber allen (selbst den moralischen) Vernunftbegriff übersteigende | ||||||
30 | Lehren enthalten, dürfen, diejenige aber, welche der praktischen Vernunft | ||||||
31 | widersprechende Sätze enthalten, müssen zum Vortheil der letzteren ausgelegt | ||||||
32 | werden. -Folgendes enthält hiezu einige Beispiele. | ||||||
33 | a) Aus der Dreieinigkeitslehre, nach dem Buchstaben genommen, läßt | ||||||
34 | sich schlechterdings nichts fürs Praktische machen, wenn man sie | ||||||
35 | gleich zu verstehen glaubte, noch weniger aber wenn man inne wird, daß | ||||||
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