Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 036

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01 welches so wie das politische aus Freiheit und Eigenthum besteht, wo    
  02 jene als Bedingung nothwendig vor diesem vorhergehen muß; folglich den    
  03 oberen Facultäten kein Recht verstattet werden kann, ohne daß es der    
  04 unteren zugleich erlaubt bleibe, ihre Bedenklichkeit über dasselbe an das    
  05 gelehrte Publicum zu bringen.    
         
  06

Anhang

   
  07

einer Erläuterung des Streits der Facultäten durch das Beispiel

   
  08

desjenigen zwischen der theologischen und philosophischen.

   
         
  09

I

   
  10

Materie des Streits.

   
         
  11 Der biblische Theolog ist eigentlich der Schriftgelehrte für den    
  12 Kirchenglauben, der auf Statuten, d.i. auf Gesetzen beruht, die aus    
  13 der Willkür eines andern ausfließen; dagegen ist der rationale der Vernunftgelehrte    
  14 für den Religionsglauben, folglich denjenigen, der    
  15 auf innern Gesetzen beruht, die sich aus jedes Menschen eigener Vernunft    
  16 entwickeln lassen. Daß dieses so sei, d. i. daß die Religion nie auf Satzungen    
  17 (so hohen Ursprungs sie immer sein mögen) gegründet werden könne, erhellt    
  18 selbst aus dem Begriffe der Religion. Nicht der Inbegriff gewisser    
  19 Lehren als göttlicher Offenbarungen (denn der heißt Theologie), sondern    
  20 der aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote (und subjectiv    
  21 der Maxime sie als solche zu befolgen) ist Religion. Religion unterscheidet    
  22 sich nicht der Materie, d.i. dem Object, nach in irgend einem Stücke von    
  23 der Moral, denn sie geht auf Pflichten überhaupt, sondern ihr Unterschied    
  24 von dieser ist blos formal, d.i. eine Gesetzgebung der Vernunft, um der    
  25 Moral durch die aus dieser selbst erzeugte Idee von Gott auf den menschlichen    
  26 Willen zu Erfüllung aller seiner Pflichten Einfluß zu geben. Darum    
  27 ist sie aber auch nur eine einzige, und es giebt nicht nur verschiedene Religionen,    
  28 aber wohl verschiedene Glaubensarten an göttliche Offenbarung und    
  29 deren statuarische Lehren, die nicht aus der Vernunft entspringen können,    
  30 d.i. verschiedene Formen der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen    
  31 Willens, um ihm Einfluß auf die Gemüther zu verschaffen, unter denen das    
  32 Christenthum, so viel wir wissen, die schicklichste Form ist. Dies findet sich    
  33 nun in der Bibel aus zwei ungleichartigen Stücken zusammengesetzt, dem    
         
     

[ Seite 035 ] [ Seite 037 ] [ Inhaltsverzeichnis ]